Wie die Araber ihre Liebe zum Bahnfahren entdecken

Titelbild: Etihad Rail

Nach 100 Jahren Dornröschenschlaf erlebt die Eisenbahn in der arabischen Welt eine Renaissance. Der Ausbau ist ungleich verteilt.

Lawrence von Arabien hat sie nicht nur sabotiert, sondern berühmt gemacht: Die Hijaz-Bahn, eines der letzten Mega-Projekte des osmanischen Reiches. Die alten, prächtig ornamentierten Stationen zeugen noch heute von der Bedeutung der Bahn, die Damaskus mit der für Muslime heiligen Stadt Mekka verbinden sollte. Diesen Plänen kam der erste Weltkrieg in den Weg. Die Bahntrasse wurde nur bis Medina fertiggestellt.

Es waren aber nicht die von Thomas Edward Lawrence durchgeführten Sabotage-Akte, sondern der Zerfall des osmanischen Reiches, der dem Traum eines panarabischen Bahnnetzes ein Ende setzte. Zwar betreiben viele Nachfolgestaaten im Nahen Osten weiterhin staatliche Bahnen – zum Teil sogar noch auf Trassen der alten Hejaz-Bahn – doch viele Stationen, Wagons und Lokomotiven sehen nicht nur so aus, als wäre die Zeit stehen geblieben. Sie stammen teilweise aus den 50er oder 60er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Auto vor Bahn

Die glitzernden Fassaden der Wolkenkratzer, täuschen nämlich darüber hinweg, dass öffentlicher Verkehr in weiten Teilen der arabischen Welt jahrzehntelang stiefmütterlich behandelt wurde. Treibstoffe waren dank großzügiger Subventionen billig. Das Auto gilt bis heute als Statussymbol und Autobahnen gelten vielerorts als wichtigste Verkehrsinfrastruktur.

Das macht eine Bahnfahrt in vielen arabischen Ländern zu einer Abenteuerreise, die aber auch deutlich macht, dass die arabischen Staaten in Sachen Infrastruktur Europa und Asien Jahrzehnte hinterherhinken. Das soll sich nun ändern. Irgendwann ist nämlich auch eine Autobahn mit scheinbar unendlichen Fahrspuren voll und Nachhaltigkeit und Klimawandel wird auch in Golfstaaten immer mehr zum Thema. Immer mehr arabische Staaten bekommen daher Lust aufs Bahnfahren.

1200 Bahn-Kilometer für die Emirate

Am lautstärksten kommunizieren diese Änderungen die Vereinigten Arabischen Emirate. Wenig überraschend, denn der Staatenbund am persischen Golf ist nicht für seine Zurückhaltung in Sachen Kommunikation bekannt.

Wenn sie fertig gestellt ist, soll die Etihad Rail 1200 Kilometer Schienen umfassen und 11 Städte in allen sieben Emiraten (Abu Dhabi, Dubai, Shardja, Adjman, Umm al-Qaywayn, Ra’s al-khaima und Fudjaira) per Bahn miteinander verbinden. Der erste Teil des 11 Milliarden Dollar teuren Projekts wurde bereits 2016 fertig gestellt und verbindet die Ölfelder im Landesinnderen von Abu Dhabi mit dem Exporthafen Ruwais an der Küste per Schiene. Diese erste je im Land gebaute und 260 Kilometer lange Strecke dient dem Gütertransport von granulierten Schwefel aus den Ölfedern.

Strategische Bedeutung

Deutlich schwieriger dürfte die zweite Phase des Projekts sein: Ein mehr als 600 Kilometer langes Eisenbahnnetz von Ghuwayfa an der saudischen Grenze im Westen nach Fudjaira im gebirgigen Osten des Landes. Wenn sie fertig gestellt ist, soll eine Fahrt von Abu Dhabi nach Fudjaira mit der Bahn nur die Hälfte der Zeit einer Autofahrt beanspruchen. Bis 2030 rechnet man mit jährlich mehr als 35 Millionen Passagieren.

Die Bahn dürfte nicht nur aus reinen Komfortgründen gebaut werden. Mit der neuen Eisenbahn hat man auch eine Transport-Alternative für das strategische Nadelöhr in der Straße von Hormuz, von von der immer wieder befürchtet wird, dass der Iran diese im Falle eines Konfliktes schließen könnte.

Der Staatenbund am Golf ist freilich längst nicht der einzige, der eine Wende in der Bahnpolitik einläutet. Saudi-Arabien will sein Bahnnetzwerk verdreifachen. Schon jetzt gibt es die 450 Kilometer lange al-Haramayn-Hochgeschwindigkeitsstrecke, die die beiden Pilgerstätten Mekka und Medina miteinander verbindet. Zahlreiche weitere Strecken sind geplant. Bis 2040 sollen insgesamt mehr als 25.000 neue Bahnkilometer in der arabischen Welt entstehen. Das beschränkt sich nicht nur auf die traditionelle Eisenbahn: Auch städtische U-Bahnen in Algiers, Dubai, Doha, Kairo und Teheran wurden ausgebaut. In der saudischen Hauptstadt Riyad soll eine neue U-Bahn kommendes Jahr eröffnen.

Kein panarabische Netz

Der Bahnboom ist freilich ungleich verteilt: Vor allem rohstoffreiche Staaten am Golf buttern Milliarden in den Ausbau ihrer Bahnnetze. In Staaten wie Irak, Libanon, Sudan oder Syrien kann hingegen von Bahnausbau keine Rede sein kann.

Nicht nur deswegen, bleibt der panarabische Bahnverkehr vorerst vor allem ein Traum. Bahnausbau ist nach wie vor nationale Angelegenheit – ein Problem, das Europa nur zu gut kennt. In der Arabischen Welt kommen noch gegenseitiges Misstrauen und laufende politische Krisen dazu. So planten die Staaten des Golfkooperationsrates GCC ein gemeinsames Eisenbahnnetz, doch vor allem wegen politische Streitereien blieben davon nur Lippenbekenntnisse übrig. Auch Katar wollte Hochgeschwindigkeitsstrecken nach Riyadh und Bahrain bauen. Nach dem Zerwürfnis und dem Boykott liegen die Pläne aber auf Eis.

Autor: Stefan Binder
Veröffentlicht am 3.9.2022
Weiterführende Links:
Katar: Wie man aus einer Halbinsel eine Insel macht

Du magst vielleicht auch