Der große Raubzug

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Titelbild: „Village Morning, Yemen“ von Rod Waddington, Lizenz: CC BY-SA 2.0)

Illegaler Kulturgüterhandel: Im Windschatten der menschlichen Tragödien im im Jemen, Irak und Syrien läuft das große Geschäft: Die Überlebenden werden ihres kulturellen Erbes beraubt.


Ein lauter Knall und eine meterhohe Rauchwolke begleiten die Zerstörung der Ruinen von Nimrud. Die Extremisten des „Islamischen Staats“ (IS) brauchten nur wenige Sekunden, um 3.000 Jahre Geschichte dauerhaft auszulöschen. Im Alten Testament war Nimrud als erster Mann mit Königswürde bekannt. Von seinem einstigen Glanz war nur noch eine Ruinenstadt im heutigen Irak übrig geblieben. Die letzten Reste davon hat der IS gesprengt. Das sollte erst der Anfang einer beispiellosen Zerstörungswut sein.

Zu zerstören gibt es im fruchtbaren Halbmond, wie das Gebiet des Irak, Syriens, des Libanons, Israels und Jordaniens auch genannt wird, genug. Sumerer, Babylonier, Aramäer, Phönizier, Hethiter, Assyrer, Akkadier, Griechen, Römer, Ummayaden, Ayyubinen, Osmanen – beinahe alle Hochkulturen haben hier ihre Spuren hinterlassen.

Der syrische Teil des Gebietes mit seinen teilweise noch unberührten Zitadellen, Palästen und Grabtürmen war jahrzehntelang eine Fundgrube für Archäologen und Kunstinteressierte – bis der Bürgerkrieg ausgebrochen ist. Aus Museen, Grabmälern und antiken Anlagen wurden Kriegsschauplätze. Der bisherige Höhepunkt wurde im Mai 2015 erreicht, als der IS die antike Oasenstadt Palmyra eroberte. Erst vor kurzem wurden die radikal-islamischen Kämpfer wieder vertrieben, doch sie hatten beträchtlichen Schaden angerichtet.

Screenshot eines IS-Propaganda-Videos, das die Zerstörung Nimruds zeigt - der IS betreibt illegalen Kunstgüterhandel im großen Stil
In einem Propaganda-Video zelebriert der „Islamische Staat“ (IS) die Zerstörung der Ruinen von Nimrud im heutigen Irak. (Screenshot: Youtube)

Auf dem jihadistischen Zerstörungsprogramm stehen aber nicht nur Sprengungen, sondern auch großangelegte Plünderungen von archäologischen Stätten. Der Raub ist zum großen Geschäft geworden: Seit der Eroberung bedeutender Kulturstätten in Syrien und im Irak versuchen die Extremisten ein Monopol auf den Handel mit Kulturgütern zu etablieren.

In Syrien hat der „Islamische Staat“ laut Amr al-Azm, Professor an der Shawnee State University in Ohio und intimer Kenner Syriens, eine Kommission von 20 bis 50 Prozent auf den Handel und Weiterverkauf von Kulturgütern eingehoben.

Neben Ölschmuggel, Geiselnahmen und Steuereintreibung ist der Handel mit Kulturgütern eine wichtige Einnahmequelle für die Extremisten geworden. Seit dies bekannt ist, schauen auch westliche Regierung genauer hin. War das Aufbegehren gegen den Raubzug kulturhistorischer Güter zuvor noch eine Domäne von Archäologen, Museumsdirektoren und Kulturinteressierten, sind neuerdings auch Regierungen interessiert, um den Geldfluss zum IS zu stoppen.

Arabia Felix

Ein paar tausend Kilometer weiter südlich von Syrien sackt das Interesse des westlichen Publikums allerdings wieder stark ab. Am Alter oder an der kulturhistorischen Bedeutung der betroffenen Stätten kann es nicht liegen. In antiken Quellen wurde das Gebiet als Arabia Felix, glückliches Arabien, bezeichnet. Schon seit dem ersten Jahrtausend vor Christus wurde von hier aus Weihrauch bis nach Mesopotamien, in die Levante und in die Mittelmeerregion transportiert. Es war Ausgangs- und Durchzugspunkt der Weihrauchstraße, der der Jemen seine Hochkulturen verdankt.

Von „glücklich“ kann im Jemen heute jedoch keine Rede mehr sein. Nach politischer Instabilität und Kämpfen griff im vergangenen Jahr eine von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition in den Konflikt ein. Das kulturelle Erbe blieb davon nicht unberührt: Die Altstadt von Sada, ein einheitlicher Komplex einer mittelalterlichen Stadt, wurde fast vollständig zerstört. Ein Bombenangriff auf ein neues Museum vernichtete in der Stadt Dhammar mit einem Schlag mehr als 10.000 Objekte. Die Liste der Zerstörung ließe sich lange fortführen.

„Es gibt anscheinend oft diese Haltung: ‘Who cares, dann geht eben ein ganzes Museum oder ein Tempel kaputt‘.“

Die Unesco hat zwar der saudi-arabischen Koalition eine Liste mit gefährdeten Kulturstätten übergeben und gebeten, diese nicht anzugreifen. Rücksicht wurde darauf aber nicht genommen. „Es gibt anscheinend oft diese Haltung: ‘Who cares, dann geht eben ein ganzes Museum oder ein Tempel kaputt. Hauptsache, wir kommen mit unseren politischen Zielen voran’“, sagt Iris Gerlach vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI), das seit fast 40 Jahren im Jemen forscht, im Interview mit dem STANDARD.

Darüber hinaus gibt es auch religiös motivierte Zerstörungen. Gerade im Süden des Jemen werden Heiligengräber, die der radikalen Auslegung des Islam nicht entsprechen, vernichtet. Und es werden Museen geplündert: „Das passiert durch Al-Kaida und andere jihadistische Gruppen vor Ort. Zum Glück ist es bisher nicht zur Ausradierung eines ganzen Fundplatzes aufgrund religiöser Motivation gekommen. Doch gestalten sich die massiven Plünderungen an vielen Orten als existenzbedrohend für die archäologischen Stätten“, sagt Gerlach.

Puzzlestein

Der Jemen ist dabei nur ein Puzzlestein in einem der größten kulturhistorischen Raubzüge seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Handel mit geraubten Kunstschätzen aus Nahost hat es schon immer gegeben. Doch im vergangenen Jahrzehnt ist etwas aus dem Ruder gelaufen: der Einmarsch und Bürgerkrieg im Irak, die Revolution in Ägypten, Kämpfe in Libyen und der brutal geführte Machtkampf in Syrien. Soziale und ökonomische Unruhen taten ihr Übriges: Mit dem Kollaps staatlicher Kontrolle ist auch der Handel mit Gütern aus diesen Krisenregionen aufgeblüht. Der Import syrischer Kulturgüter in die USA hat sich innerhalb von zwei Jahren (2011–2013) mehr als verdoppelt. Immer öfter tauchen bei westlichen Zollbehörden Objekte unbekannter Herkunft auf.

Raubgräber „verdient ganz wenig“

Egal ob im Jemen, Syrien, Irak oder Libyen – der Raubgräber selbst verdient ganz wenig. „Jemand, der eine Raubgrabung durchführt, bekommt vor Ort nur wenige Dollar. Mit zunehmender wirtschaftlicher Not bildet so etwas eine Einkommensquelle, mit der man seine Familie ernähren kann. Ich will das nicht entschuldigen, jedoch muss man verstehen, dass dies ein Prozess ist, der durch Krieg und Armut in Gang gesetzt wird“, sagt Iris Gerlach. „Die ‚Bösen‘ sind nicht jene, die da ausgraben, sondern es sind die Abnehmer, die überhaupt erst einen Markt für Antiken schaffen.“

Und „den Bösen“ wird man kaum Herr – auch hierzulande. Dem Bundeskriminalamt in Wien, das eine eigene Abteilung für Kulturgutfahndung betreibt, sind oft die Hände gebunden. „Was wir brauchen, das ist eine gesetzliche Handhabe“, sagt Anita Gach, Leiterin der kleinen Abteilung. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern gebe es in Österreich keinen Straftatbestand der illegalen Ausgrabung, sondern nur den der Hehlerei und der Unterschlagung. Objekte, die zum Beispiel aus Raubgrabungen aus Libyen stammen, könne man nicht einfach beschlagnahmen. „Wir stoßen täglich an die Grenzen“, erzählt die Kunsthistorikerin. Im Wiener Kunsthandel würden hochpreisige Stücke mit Herkunftsbezeichnungen wie „seit Generationen im Familienbesitz“ angeboten. Solange Händler und Verkäufer nicht verpflichtet sind, die Provenienz eines Stückes nachzuweisen, so lange werde der Handel mit geraubten Kulturgütern uneingeschränkt weitergehen, meint Gach.

„Korruption spielt sicher immer eine Rolle“

Wenn es schon hierzulande schwierig ist, dem Geschäft Einhalt zu gebieten, so ist es vor Ort fast unmöglich. Hindernisse, geraubte Objekte außer Landes zu bringen, gibt es wenig. Im Jemen werden viele über die grüne Grenze nach Saudi-Arabien oder den Oman transportiert. „Korruption spielt sicher immer eine Rolle. Man muss schließlich Grenzer bestechen, damit etwas außer Landes kommt oder Behördenmitarbeiter zur Ausstellung von Papieren zu überreden“, sagt Jemen-Expertin Gerlach, die selbst jahrelang vor Ort geforscht hat. Von dort aus ist es nur ein Katzensprung in bedeutende Käufermärkte am Golf, obgleich der Schmuggel im Jemen nicht im gleichen Ausmaß organisiert ist wie in Syrien.

Altstadt von Sanaa: Umschlagplagplatz für illegale Kulturgüter (Foto: Rod Waddington, CC BY-SA 2.0)
Altstadt von Sanaa (Foto: Sana’a, Yemen von Rod Waddington, Lizenz: CC BY-SA 2.0)

Werden gestohlene Objekte einmal auf den großen Sammlermärkten im Westen angeboten, landen deren Fotos allzu oft auf dem Schreibtisch von Christopher A. Marinello in seinem Büro in Mayfair, einem der nobelsten Gegenden Londons. Der gebürtige US-Amerikaner hat einen ungewöhnlichen Job: Er ist „Art Recovery Specialist“. Eigentlich wollte er Maler werden, doch nachdem das Talent dafür nicht gereicht hat, wurde ihm nahegelegt, Jus zu studieren. Der Kunst ist er dennoch treu geblieben. Mit seiner 2013 gegründeten Firma Art Recovery Group versucht er, die Provenienz von Kulturgütern zu klären. „Wir agieren wie ein Gutachter für Kunst“, erzählt er im Gespräch mit dem STANDARD. „Wenn man ein Haus kauft, lässt man auch oft ein Gutachten über den Wert der Immobilie machen. Wir machen das Gleiche nur für Kunst. Wir untersuchen die Echtheit, überprüfen, ob es als gestohlen gemeldet wurde oder aus zweifelhafter Herkunft stammt.“

Zu seinen Kunden gehören Sammler, Händler, Auktionshäuser, Museen, Versicherungen, aber auch Regierungen und Behörden – kurz: „Jeder, der irgendein Interesse an einem Kunstwerk hat.“

Drohkulisse

Stücke aus dem Nahen Osten sind ihm nicht unbekannt: „Es gab immer einen illegalen Markt für solche Objekte. Viele Menschen haben Nutzen aus den Kriegen, dem Arabischen Frühling und der folgenden politischen Instabilität gezogen.“ Illegale Grabungen, Plünderungen von Museen und das Ausnützen alter Schmuggelrouten in den Westen müssten eigentlich zu einem starken Anstieg von angebotenen Kulturgütern aus dem Nahen Osten führen.

Doch Originale tauchen bei ihm in London seltener auf, als man angesichts der großen Raubzüge annehmen müsste: „Es gibt unglaublich viele Fakes, aber der legale Markt wird nicht mit Material aus dem Nahen Osten überschwemmt.“

Die Drohkulisse, die einzelne westliche Regierung angesichts des Engagements von Gruppen wie dem IS im Kulturguthandel aufbauen, scheint zumindest teilweise zu wirken. Die US-Bundespolizei FBI hat angekündigt, den illegalen Handel mit syrischen Antiquitäten unter dem Aspekt der Terrorfinanzierung zu verfolgen. Kein Kavaliersdelikt – auf Beihilfe zur Terrorfinanzierung stehen in den USA jahrelange Haftstrafen. Für Marinello ist das „ein ziemlich guter Grund, um die Hände von solchem Material zu lassen. Wir haben viele Händler, die uns kontaktieren und sagen: Was machen wir hier?“ Wenn man die Provenienz nicht zu hundert Prozent kennt, sollte man Kauf, Verkauf und Handel bleiben lassen, rät der Kunstexperte.

„Der größte Teil ist das, was wir gar nicht greifen können. Das ist der Schwarzmarkt“

„Seit Syrien auf der roten Liste (der Unesco, Anm.) steht, wagt kaum ein Kunsthändler im Westen überhaupt noch, ein Stück offiziell anzubieten“, sagt auch Iris Gerlach, um aber gleich einzuschränken: „Auf dem Schwarzmarkt aber schon.“ So landen immer wieder Stücke mit gefälschten Papieren beim Zoll. Auffallend sei, dass immer öfter Objekte mit dem Label „aus alten Sammlungen“ auftauchen. „Das Anwachsen von Antiken aus Kriegsgebieten aus anscheinend alten und damit zumindest offiziell legalen Altbeständen wundert einen dann schon.“ An der Oberfläche sieht man nur, was in Auktionshäusern angeboten werde. „Der größte Teil ist das, was wir gar nicht greifen können. Das ist der Schwarzmarkt, das sind irgendwelche privaten Sammler, wo solche Objekte dann verschwinden“, erzählt die Archäologin, die mit dem DAI auch dem deutschen Bundeskriminalamt und Interpol bei Ermittlungen hilft. Einmal in einem Privathaus verschwunden, sind solche – oftmals gestohlenen und geraubten – Objekte dann außerhalb der direkten Kontrolle von Forschern und Behörden.

Jahrhunderte alte jemenitische Stadt - immer mehr Orte im Jemen sind vom illegalen Kunstgüterhandel betroffen.
(Foto:“Village Morning, Yemen“ von Rod Waddington, Lizenz: CC BY-SA 2.0)

Wo genau sie verschwinden, wisse man nicht. Aber man wisse von Abnehmern in Europa, Amerika und vor allem in der Golfregion. „Das erfahren wir möglicherweise mal indirekt, häufig aber auch gar nicht.“ Öffentliche Museen könne man in Westeuropa als Abnehmer hingegen nahezu sicher ausschließen. Das Bewusstsein sei in Europa diesbezüglich schon weit fortgeschritten, meint Gerlach.

Anders sieht das im Nahen Osten und manchen Märkten Asiens aus. Dort sei zwar ein Bewusstsein oft vorhanden, nur der Wille sei nicht immer besonders ausgeprägt, meint Provenienzexperte Marinello. „Als wir unsere Firma gegründet haben, haben wir versucht, Sammler, Museen und Händler im Nahen Osten und Asien davon zu überzeugen, wie wichtig eine sorgfältige Überprüfung ist. Ich warte noch heute darauf, dass das passiert.“

Seele

Archäologen, die sich für Gesetzesverschärfungen und Bewusstseinsbildung einsetzen, Beamte, die oft monatelang ermitteln, internationale Gremien, die Listen aufsetzen. Ist dieses große Engagement angesichts des menschlichen Leides in den betroffenen Ländern – tausende Tote und Verletzte – nicht zynisch? „Es steht außer Frage, dass das Leben von Menschen Priorität vor allem anderen haben muss“, sagt Christopher Marinello. „Aber wenn der Krieg vorbei ist, muss man sich klar sein: Diese Objekte machen aus, wer sie sind. Sie sind Teil ihrer Kultur. Mit dieser Zerstörung und dem Raub verlieren sie einen Teil ihrer Seele.“

Autor: Stefan Binder
Eine Kurzversion dieses Artikels erschien am 5.5.2016 auf derStandard.at
Titelbild: Das Dorf Kahil im Jemen, das auf der roten Liste der bedrohten Kulturgüter der Unesco steht. Foto: „Village Morning, Yemen“ von Rod Waddington, Lizenz: CC BY-SA 2.0)

Weiterführende Links:
Interview mit Iris Gerlach: „Wir müssen unsere Gesetze ändern“
Anita Gach in „Öffentliche Sicherheit“: „Alter Familienbesitz“ (pdf)
Bundesgesetzblatt I Nr. 19/2016 (RIS): Kulturgüterrückgabegesetz (pdf)
Kulturgüterrückgabegesetz: Pflicht zur Sorgfalt     
Neues Kulturrückgabegesetz

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