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Guido Steinberg: „Ohne Kontakte kommt man nicht nach Syrien“

Die jihadistische Bewegung ist seit 9/11 internationaler geworden, analysiert  der deutsche Islamwissenschaftler Guido Steinberg. Gemessen an der  Bevölkerungszahl, sind Extremisten aus Österreich dort stark vertreten.

Waren jihadistische Bewegungen um den 11. September 2001 noch primär arabisch geprägt so fällt mehr als ein Jahrzehnt später in Syrien auf, dass sie nun stark internationalisiert wurden. Warum?

Steinberg: Das ist zum einen die wachsende Attraktivität jihadistischer Ideologie, die im Kern ja internationalistisch ist: alle Forderungen werden nicht in Bezug auf einen Nationalstaat erhoben sondern in der Regel in Bezug auf die überstaatliche Gemeinschaft der Muslime. Dieser Gedanke hat an Bedeutung gewonnen.

Zum anderen wurde diese Idee durch Interventionen westlicher Staaten in der islamischen Welt gefördert. Man kann beobachten, dass nach jeder Intervention sich die soziale Basis der Jihadisten ausgeweitet hat, also dass neue Nationalitäten dazukamen: 2003 z.B. vermehrt Kurden und Türken, 2006 vermehrt Somalier aber auch Afghanen, Pakistaner und viele andere mehr.

Wie war es überhaupt möglich, dass eine Gruppe wie der „Islamische Staat“ (IS) in so kurzer Zeit so viele Erfolge  feiern konnte?

Steinberg: IS ist eine sehr starke und kampferprobte Gruppierung, die schon seit 11 Jahren im Irak operiert, und sie nutzt jede Schwäche ihrer Gegner aus. Und die Gegner haben sich als sehr schwach erwiesen: die USA haben sich 2011 völlig verfrüht aus dem Irak zurückgezogen. Das war ein schwerer Fehler für den aber auch die Iraker verantwortlich sind, weil sie den Abzug forderten.

Zweitens hat die irakische Regierung alles getan um dem IS Rekruten zuzutreiben, indem sie versuchte, Sunniten und Säkularisten aus dem politischen System des Irak auszuschließen und eine rein schiitische Regierung zu begründen. Das hat dazu geführt, dass IS und andere aufständische Gruppierungen im Irak an Stärke gewonnen haben. Diese Faktoren haben dann zu einem für uns überraschenden Aufstieg geführt. Die Organisation war aber immer präsent

In Ihrem Buch schildern Sie die Lebenswege von Jihadisten aus dem deutschsprachigen Raum. Hat sich da für Sie ein gemeinsames Kennzeichen herauskristallisiert?

Steinberg: Für den deutschsprachigen Raum lässt sich aufzeigen, dass Terrorismus weniger ein Mittelschicht-Phänomen ist, als das 2001 der Fall war. Es sind verhältnismäßig viele Leute aus den Problemvierteln der großen Städte mit teils sehr deutlich sichtbaren Brüchen in der Biographie, mit wirtschaftlichen Problemen oder Problemen in der Schule. Das gilt zwar nicht für alle Jihadisten, aber es gilt für immer mehr von ihnen. Das ist ein Hinweis darauf, dass sich der soziale Rekrutierungspool verändert hat.

Dem Internet wird von Behörden und Medien große Bedeutung bei der nun starken Welle an ausreisewilligen Jihadisten zugeordnet. Aber wie organisieren sich viele dieser Jihadisten tatsächlich? Braucht es dafür nicht primär nach wie vor physische Strukturen?

Steinberg: Die Bedeutung des Internet wird übertrieben. Es spielt sicherlich bei der Radikalisierung eine große Rolle, aber keine so wichtige wie es oft scheint. Bei der Rekrutierung ist es noch viel seltener wichtig. Für die Rekrutierung sind vor allem Freundeskreise zuständig. Hier gilt: ohne persönliche Kontakte kommt man nicht nach Syrien oder Pakistan. Darüber hinaus fällt auf, dass fast alle Freiwilligen sich Organisationen in der arabischen Welt oder Asien anschließen, d.h. Al-Kaida, der Nusra-Front oder IS. Parallel wächst der Wunsch, genuin europäische Organisationen zu gründen. Dieser Trend ist deutlich sichtbar, vor allem im deutschen und österreichischen Umfeld.

Nun ziehen viele Europäer, darunter auch eine prozentuell gesehen große Zahl an Personen aus Österreich, in den bewaffneten Jihad in Syrien und den Irak. Welche Rolle spielt Österreich in dieser globalen jihadistischen Bewegung?

Steinberg: Es gibt zwei erschreckende Beobachtungen bei den Ausreisebewegungen. Einerseits die absolut gesehen hohe Zahl an Europäern. Von insgesamt 3000 Jihadisten sind Franzosen und Briten vielleicht schon im vierstelligen Bereich, dann kommen die Deutschen mit mindestens 400 Personen, die seit 2012 nach Syrien und in den Irak gezogen sind. Diese Zahlen sind höher als alle zuvor.

Dabei überrascht, dass drei kleinere Staaten prozentual im Verhältnis zur Bevölkerung gesehen, sehr stark vertreten sind. An der erster Stelle steht Belgien, dann kommen Dänemark und Österreich. In Österreich scheint das teilweise darauf zurückzuführen sein, dass das Land im letzten Jahrzehnt relativ viele Tschetschenen aufgenommen hat, und rund die Hälfte der Ausreisewilligen aus Österreich scheint dieser Gruppe zu entstammen. Das scheint ein österreichisches Sonderphänomen zu sein. Aber Österreich ist in jedem Fall ganz stark betroffen und es wird eine große Aufgabe für die österreichischen Sicherheitsbehörden und auch für die Gesellschaft, den richtigen Umgang mit den Rückkehrern zu finden.

Die besondere Bedeutung Österreichs im gesamten deutschsprachigen Bereich liegt in erster Linie darin, dass Wien als intellektuelles Zentrum des deutschsprachigen Jihadismus sehr früh sehr wichtig war und das ist mit einer Person verbunden: Mohamed M.

Mohamed M. und der deutsche Jihadist Denis C. sind auch Lieblinge von heimischen Boulevard-Medien. Aber wie sind diese Personen tatsächlich einzuschätzen: für die einen sind es wichtig machende Propagandisten, andere wiederum sehen sie als große Nummern im internationalen Jihadismus?  Eine österreichische Zeitung titelte unlängst M. sei „IS-Mitbegründer“.

Steinberg: Diese Personen sind ganz sicher keine wichtigen Funktionäre innerhalb von IS, da dominieren ganz andere Nummern. Die Leute hinter IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi sind teils ehemalige Offiziere, die schon über ein Jahrzehnt im bewaffneten Kampf gegen die USA und den irakischen Staat stehen. Da spielen Leute wie Mohamed M. und Denis C. überhaupt keine Rolle. M. ist auch kein Mitbegründer des IS. Ihre wichtigste Funktion besteht vor allem in der Propaganda. Da kann man M.s Bedeutung für die gesamte deutschsprachige Szene nicht überschätzen. Er hat enorm dazu beigetragen, dass sich Deutsche ab 2006/07 den Jihadisten angeschlossen haben. Ich gehe davon aus, dass seine Propaganda, wenn sie nun von Syrien aus fortgeführt wird auch dazu führen wird, dass der Zustrom an Kämpfern und ihren Familien, Spenden und Unterstützung aus Österreich und Deutschland nicht nachlässt.

M. war schon vor 11 Jahren einmal im Irak und hat dadurch an Ansehen in der Szene gewonnen. Wenn jemand in dieser Weise über 11 Jahre seinen militanten Überzeugungen folgt – selbst wenn er in seinen öffentlichen Auftritten merkwürdig rüberkommt – hielte ich es für einen Fehler ihn nicht sehr ernst zu nehmen.

Guido Steinberg (46) erforscht Themen des Terrorismus an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Autor: Stefan Binder.
Veröffentlicht am 12.11.2014

Weiterführende Links:
Mohamed M.: Jihadisten-Post aus Wiener Gefängniszelle
Vom Wiener Fußballplatz in den syrischen Jihad
Stefan Binder: Stefan Binder ist Journalist und Blogger in Wien.
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