Titelbild: U.S. Navy Photo by 1st Class Preston Keres.
Trotz zahlreicher Niederlagen dominiert der „Islamische Staat“ die Schlagzeilen. Ein Player in der jihadistischen Welt ist beinahe in Vergessenheit geraten: Die al-Kaida ist allerdings alles andere als verschwunden.
Es hätte eine Routinefahrt werden sollen. Nachschub wurde benötigt – ein logistischer Konvoi zwischen den Orten Tessalit und Aguelhok im Nordosten Malis brauchte am 26. Oktober 2017 Begleitschutz. Um 14:30 Uhr GMT blieb davon nicht viel übrig. Ein selbstgebastelter Sprengsatz detonierte neben dem Begleitfahrzeug. Die Insassen, fünf Blauhelme der Vereinten Nationen, wurden schwer verletzt, für drei kam jedoch jede Hilfe zu spät. Sie starben noch an Ort und Stelle.
Schon einen Monat zuvor starben drei UN-Soldaten aus Bangladesch, nachdem ihr Konvoi ebenfalls angegriffen wurde. Es werden wohl nicht die letzten Todesopfer gewesen sein. Seit 2013, als die MINUSMA-Mission (United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali) von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurde, starben mehr als 80 Blauhelme bei Angriffen – es ist die tödlichste UN-Mission der Welt.
Zu dem Angriff bekannte hat sich aber nicht der “Islamische Staat” (IS), der die Berichterstattung über radikal-islamische Gräueltaten dominiert. Das Attentat ging auf das Konto einer Organisation, die mittlerweile fast in Vergessenheit geraten ist. Die Jamaat Nusrat al-Islam wa-l-Muslimeen bekannte sich kurze Zeit nach der Explosion zu dem Attentat; hinter dem Namen versteckt sich eine ganz andere Gruppe: Es ist ein Ableger der al-Kaida.
Einst der gefürchtete Anführer der globalen jihadistischen Bewegung, wurden die Organisation von der neuen Jihadisten-Konkurrenz, den Kämpfern des “Islamischen Staates” übertrumpft. Das einst so mächtige und gefürchtete Extremistennetzwerk al-Kaida scheint nur noch ein Schatten seiner selbst zu sein. Der Schein trügt.
Eine Geschichte über den Aufstieg und Fall der von Osama bin Laden gegründeten Organisation, ihrer Spaltungen und wie sie sich mit einem Strategiewechsel 2010 wieder zu einer der gefährlichsten Extremistenorganisationen gewandelt hat – ohne dass die westliche Öffentlichkeit viel davon mitbekommen hat.
Aufstieg und Fall
Seinen Anfang nahm das, was später unter dem Namen al-Kaida, „Islamischer Staat“ et. al. bekannt und gefürchtet wurde im Afghanistan-Krieg der 80er Jahre. Es war in diesem Krieg, in dem Jihadisten aus Saudi-Arabien und anderen arabischen Ländern die afghanischen Mujahideen im Kampf gegen die sowjetischen Besatzer unterstützen wollten. Unter ihnen befand sich der Saudi Osama Bin Laden. Die Sowjets wurden besiegt und mussten das Land verlassen – die Jihadisten blieben. Bin Laden gründete Ausbildungslager am Hindukusch.
Es war eine Zeit noch ohne Drohnen und ohne Fokus auf den globalen islamistischen Extremismus. In den 90ern war al-Kaida noch stark, Jihadisten aus der ganzen Welt pilgerten in die Trainingslager des groß gewachsenen Saudis, um den Umgang mit Waffen und Sprengstoff zu lernen. Noch dazu war die Organisation reich: Geld floss ungehindert in Strömen von reichen Spendern in den Golfstaaten. In der Welt globaler Jihadisten war Osama bin Laden der ultimative Star. Er wurde das Gesicht des bewaffneten Jihad – dem Kampf gegen Ungläubige.
Er behauptete, dass es der erste richtige Jihad seit Jahrzehnten war – was den Strom an willigen Kämpfern nur anschwellen ließ. Viele dachten, es sei nicht nur die beste Möglichkeite in den Jihad zu ziehen, sondern auch die beste Möglichkeit, um in moderner Kriegsführung ausgebildet zu werden.Tausende wurden in Afghanistan trainiert – sie alle wurden Bannerträger des bewaffneten Jihad im Rest der Welt. Von Bosnien bis nach Tschetschenien – Kämpfer, die in Bin Ladens Camps ausgebildet wurden, waren fast immer dabei.
Ein Jahr nach der Jahrtausendwende, zeigte sich auch dem Rest der Welt die Stärke der al-Kaida. Am 11. September 2001 verübten Mitglieder der Organisation den tödlichsten Anschlag auf amerikanischem Staatsgebiet seit Pearl Harbour. Fast 3.000 Menschen kamen ums Leben.
Einmarsch in Afghanstan
Die Vergeltung folgte prompt: Einen Monat später marschierten die USA in Afghanistan ein. Der ehemalige Rückzugsort wurde zur Kriegszone. Hunderte al-Kaida-Kämpfer wurden getötet oder gefangen genommen. Viele mehr – darunter auch Osama bin Laden – entkamen aber auf dem Landweg nach Pakistan.
Zunächst schaute die pakistanische Regierung weg. Doch unter Druck aus Washington, begann auch Islamabad al-Kaida-Kämpfer zu verfolgen. Aus einer kleinen Militäroperation wurde ein Feldzug: Die Extremisten verloren Schritt für Schritt ihre Hochburgen in Pakistan, nachdem sie zuvor noch weite Teile des Swat-Tales, Süd- und Nordwaziristans kontrollierten. Der Verlust bedeutete auch das Ende der Trainingslager, dem Einheben von Steuern und Rückzugspunkte um neue, große Anschläge zu planen. Zur selben Zeit töteten US-Drohnen hunderte von Kämpfern und Anführern. Al-Kaida schien am Ende, der verheerenste Schlag sollte allerdings noch folgen.
In der Nacht vom auf den 2. Mai 2011 stürmten Soldaten der US-Marine-Eliteeinheit SEALS ein Haus im pakistanischen Abbottabad. Sie erschossen Osama bin Laden und mehrere seiner Mitstreiter. Sein Tod war der bis dato größe Rückschlag für die al-Kaida.
Operationen der Amerikaner und Pakistaner nahmen den Extremisten zunächst die Rückzugspunkte, Trainingscamps, Geld und nun ihren charismatischen Führer. Und das waren nur die Angriffe von außerhalb. Zur gleichen Zeit wurde Al-Kaida von innen heraus zerrissen.
Die Spaltung
Elitär, straff organisiert, streng hierarchisch – bisweilen hatte al-Kaida mehr Ähnlichkeiten mit einem Kasernenhof, denn mit einer Organisation, die nicht weniger als eine weltweite islamistische Revolution anzetteln wollte. Wie die al-Kaida früher strukturiert war, ist heute dank zahlreicher veröffentlichter Dokumente klar: Entscheidungen wurden an der Spitze getroffen und jeder in der Organisation hatte ihnen Folge zu leisten. Doch als sich al-Kaida nach dem amerikanischen Einmarsch in Afghanistan 2001 zersplitterte und dezentralisierte, zerstreuten sich die verschiedene Mitglieder der al-Kaida nach Pakistan, in den Jemen, Iran und den Nordirak.
Es war die Expansion in den Irak, die sich als Katastrophe für al-Kaida herausstellte. Eine Ausdehnung, die mit einem Mann begann: Abu Musab al-Zarqawi. Der gebürtige Jordanier hat einen geradezu klassischen Karriereweg eines Jihadisten eingeschlagen: Nach dem Abbruch der Schulbildung verdingte er sich als Straßenkrimineller, landete im Gefängnis und wurde dort radikalisiert. Er ging zunächst nach Afghanistan, wo er auch erstmals Kontakt mit Osama bin Laden hatte.
2003 tauchte er mit einer Gruppe Militanter im Irak auf. Al-Kaida war zu diesem Zeitpunkt verzweifelt, der Irak – ein arabisches Kernland, das vom Erzfeind USA besetzt wurde – bot die Möglichkeit den bewaffneten Jihad direkt gegen Amerikaner zu führen. Was 2003 mit einer Hand voll Militanter begann war 2004 bereits zu einer Extremistengruppe mit tausenden Kämpfern angewachsen. Jihadisten, die allerdings eine andere Agenda verfolgten als Osama bin Laden. Während Bin Laden besessen davon war, den Westen in die Knie zu zwingen, richtete sich der Groll Zarqawis und seiner sunnitischen Kämpfern gegen die Schiiten im eigenen Land. Zarqawi war besessen von der Idee, dass die Schiiten ein Dolch im Herzen des Irak und der islamischen Welt sind. Tausende Selbstmordanschläge gegen Schiiten im Land und ein Bürgerkrieg waren die Folge.
Zarqawis Blutrausch
Osama bin Laden versuchte Zarqawi viele Male zu zügeln. Das belegen Briefe des al-Kaida-Chefs und seines Stellvertreters Ayman az-Zawahiri, in denen Zarqawi dazu gedrängt wurde, das Blutvergießen gegen die Schiiten (aber auch gegen Sunniten im Irak) zu beenden und sich stattdessen auf den größeren Feind – die Amerikaner – zu konzentrieren.
Die Antwort Zarqawis: Er verstärkte die Angriffe. Zarqawi war in einen regelrechten Blutrausch geraten, seine Kämpfer wurden immer brutaler: Westliche Geiseln, aber auch Araber wurden enthauptet; die Taten wurden gefilmt und mit Stolz öffentlich zur Schau zu stellen, wozu man bereit war.
Osama bin Laden saß indes in Pakistan fest und konnte nur aus der Ferne beobachten wie Zarqawi seinen Platz als Superstar in der jihadistischen Welt einnahm. Er wurde der zentrale Fokus junger Männer und Frauen, die al-Kaida beitreten wollten. In vielfacher Weise überschattete die al-Kaida im Irak, die al-Kaida selbst. Der Anführer, Abu Musab al-Zarqawi, wurde der wahre Held. Der Mann, der Resultate lieferte: Tod und Vergeltung für die Feinde.
Doch Zarqawis Regentschaft war nur von kurzer Dauer. Nach wenigen Jahren an Selbstmordanschlägen und einem brutalen Bürgerkrieg stellten sich einige seiner Anhänger gegen ihn. Viele seiner Kämpfer tauchten unter, viele wurden getötet oder aus den urbanen Zentren des Irak gedrängt. 2006 schließlich wurde Zarqawi selbst bei einem US-Drohnenangriff getötet. Innerhalb weniger Jahre war die al-Kaida im Irak am Boden; am Ende war sie aber noch nicht.
Selbsterfüllende Prophezeiung
Die Gruppe blieb verborgen, aber nicht inaktiv. Unter der Führung von Abu Bakr al-Baghdadi , der seit 2010 Emir der Gruppe war, nutzten die islamistischen Extremisten das fehlende Interesse und Aufmerksamkeit, um wieder zu rekrutieren. Ehemalige Polizisten und Militäroffiziere wurden angeworben und zeitgleich eine noch brutalere Ideologie entwickelt. Geholfen wurde ihnen indirekt auch durch die schiitisch dominierte irakische Regierung und Sicherheitskräfte, die durch gezielte Demütigung und Diskriminierung, Sunniten in die Arme radikaler Islamisten triebenn. Riesige Gefängnisausbrüche taten das Übrige.
So entstand aus der Asche der al-Kaida im Irak, eine jihadistische Gruppe, die sich selbst “Islamischer Staat” nannte. Sie überrannten eine Stadt nach der anderen im Irak und Syrien und im Juni 2014 eroberten sie mit Mossul die zweitgrößte Stadt des Landes und deklarierten ein Kalifat.
Für die al-Kaida war es eine Katastrophe, stellte sich die Gruppe doch offen gegen ihre eigenen Geburtshelfer. Dem IS ging es nicht nur um die Errichtung eines Islamischen Staates; es war auch der Versuch die globale Jihadistische Bewegung zu übernehmen. IS wurde der Markennamen, weil er als erfolgreich angesehen wurde.
Je mehr Aufmerksamkeit die Gruppe auf sich zog, desto mehr junge Radikale schlossen sich dem IS an. Je größer der IS wurde, desto mehr stand er auch im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Eine selbsterfüllende Prophezeiung.
Strategiewechsel
Die alte Strategie funktionierte nicht mehr. Al-Kaida war – von der inneren Spaltung durch den IS sowie den Angriffen von außen – geschwächt. Ab 2010 experimentierte man daher mit einer neuen Methodik. Man konzentrierte sich darauf, Allianzen zu bilden und Kontakte mit der lokal ansässigen Bevölkerung zu pflegen um eine Basis zu schaffen, von der aus die langfristigen Ziele erreicht werden können.
2013 wurde die neue Strategie durch Richtlinien von Ayman az-Zawahiri, Osama bin Ladens Nachfolger an der Spitze der al-Kaida, vorgestellt. Es war eine Neuausrichtung, die schon die Amerikaner im Vietnam-Krieg probierten und unter dem Satz “Winning the hearts and minds” bekannt wurde. Eine PR-Strategie, wie man sich lokalen Gemeinschaften, von denen aus man operiert, präsentierte.
Viele Lektionen wurden im Irak gelernt, wo eine besonders harte Linie gegenüber der lokalen Bevölkerung praktiziert wurde. Das harte Vorgehen des irakischen al-Kaida-Ablegers – strenge Durchsetzung einer besonders konservativen Auslegung des islamischen Rechts, Hinrichtungen, Selbstmordanschläge – hat letztlich dazu geführt, dass selbst sunnitische Iraker gegen die Jihadisten rebellierten.
Bäckereien, Wasser- und Gasversorgung
Zawahiri wollte sicherstellen, dass sich das nicht wiederholt. Statt Zivilisten zu töten, sollte der Kampf geführt werden, den die lokale Bevölkerung selbst führen will, so Zawahiri. Das bedeutete primär militärische Ziele und Einrichtungen des Sicherheitsapparates jedoch keine öffentlichen Märkte oder Moscheen anzugreifen. In Syrien, wo die al-Kaida mit der Jabhat an-Nusra einen lokalen Ableger gründete, kam Zawahiris Botschaft an. Nicht nur, dass die Jabhat an-Nusra an der Seite moderaterer oppositionellen Gruppen kämpfte, versuchte sie auch die lokale Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. Im Winter 2012/2013 begann sich Jabhat an-Nusra nicht nur als eine bewaffnete Bewegung sondern auch als eine soziale Bewegung zu präsentieren. Sie begann die Kontrolle über Bäckereien zu übernehmen und die Wasser- und Gasversorgung in von ihr kontrollierten Gebieten sicherzustellen. Die al-Kaida subventionierte Brot, Wasser und Energiepreise. Falls nicht anders möglich, war es die Jabhat an-Nusra selbst, die einige Zeit Gas, Brot, Wasser und andere Nahrungsmittel an Zivilisten zu deutlich günstigeren Preisen lieferte. Zu genau dieser Zeit stieg die Unterstützung für die Jabhat an-Nusra.
Die neue Vorgehensweise blieb nicht auf Syrien beschränkt. In Mali wurden in einem Gebäude, das Jihadisten gehörte, zahlreiche Briefe des lokalen al-Kaida-Anführers gefunden. Darin kritisierte er seine Kommandeure dafür, zu brutal zu sein und forderte sie auf, mehr Nachsicht zu üben. Die lokale Bevölkerung sollte zunächst die islamistischen Grundlagen gelehrt werden und erst langsam an härtere Normen herangeführt werden. Innerhalb des jihadistischen Universums ein krasser Gegenpol zur Vorgehensweise des „Islamischen Staates“, der die islamistischen Grundregeln in dem von seinen Kämpfern kontrollierten Gebieten mit öffentlichen Erniedrigungen, Auspeitschungen und Exekutionen brutal durchsetzte.
Geduld
Im südlichen Jemen wurde die Strategie der al-Kaida so weit verfolgt, dass es laut Experten mittlerweile unmöglich geworden ist, zu unterscheiden, wer al-Kaida und wer ein Stammeskämpfer ist. Insofern ist die Strategie in dem Land, das sich mitten in einem Bürgerkrieg befindet, bisher am erfolgreichsten: Einige der strikten religiösen Vorstellungen werden von al-Kaida zunächst zurücksteckt, um zunächst die lokale Bevölkerung zu vereinnahmen und so langfristig an Stärke zu gewinnen. Der IS hat in Syrien zwar große Gebiete erobert, kontrollierte die Bevölkerung aber großteils durch Zwang. Al-Kaida zwingt die Bevölkerung nicht. Im Gegenteil: Sie bieten Waffen, Essen oder Nahrungsmittel an oder schlagen vor, das Infrastruktur instandzusetzen. Und während sie das machen, predigen sie über den Islam beziehungsweise ihre Vorstellung des Islam. So verändert al-Kaida auf lange Sicht die Vorstellung der lokalen Bevölkerung über die eigene Religion. Dagegen ist es wesentlich schwieriger vorzugehen.
All das macht al-Kaida, während sie eine ihrer gefährlichsten Waffen einsetzt: Geduld. In einer medialen Welt, in der Nachrichten von gestern schon als veraltet gelten, macht eine Strategie, die sich langsam über Jahre hinweg entfaltet, die Organisation besonders gefährlich.
Trotz der Geduld und des Pragmatismus – al-Kaidas Ziel ist das Gleiche geblieben: Westlichen und allen voran amerikanischen Einfluss aus der muslimischen Welt zu vertreiben, eine strikte Auslegung des Islamischen Rechts durchzusetzen und ein islamischen Kalifat zu errichten.
„Die Gefahr, über die niemand spricht“
Geld – ohne diese weltlichsten aller weltlichen Sache scheitert auch der frommste Gotteskrieger. Große Anschläge sind nach wie vor die Vision Al-Kaidas, aber hat die Gruppe überhaupt die Mittel, sie auszuführen? Die Geldgeber der Al-Kaida haben sich nicht verändert: Konservative Kräfte – speziell in den Golfstaaten. Die Möglichkeiten, das Geld zu sammeln und zu transferieren wurden allerdings in den vergangenen Jahren stark eingeschränkt.
Die Organisation ist heute jedoch weit weniger auf Spenden angewiesen als noch zu ihren Gründungstagen. Einkommen erhält sie vor allem dadurch, dass die Extremisten Gebiete kontrollieren; Steuern auf die Bevölkerung, Abgaben auf Handelimporte und -exporten, und gelegentlich auch das Geschäft mit Rohstoffen lassen die Einnahmen sprudeln. Diese Finanzflüsse einzudämmen wird schwierig, solange die Al-Kaida das Terrain kontrolliert, aus dem die Einnahmen stammen. Die Finanzen sind also weitgehend abgesichert.
Auch am Know-How mangelt es nicht. Al-Kaida mag zwar einige ihrer bekanntesten Mitglieder verloren haben, aber in den unteren Rängen wartet sachkundiger Nachwuchs auf den Einsatz. Einer dieser Männer ist Ibrahim al-Asiri, eine Jemenit, der als einer der gefährlichsten Mitglieder al-Kaidas gilt. Er gilt als einer der innovativsten Bombenbastler, hat andere ausgebildet und wird für die Idee des sogeannten Unterhosenbomber, des Anschlagsversuchs mit Druckergeräten und zahlreiche andere Anschlagsversuche verantwortlich gemacht.
Position der Stärke
Asiri steht in gewisserweise auch symbolisch für die Veränderung al-Kaidas seit den 90er Jahren, als noch alle Top-Kader der Organisation an einem Ort gebunden waren. Heute kann ein Anschlag praktisch überall von Mitgliedern einer der zahlreichen al-Kaida-Ableger- dezentral geplant und koordiniert – ausgeführt werden.
„Die Gefahr, über die allerdings niemand spricht, ist der Al-Kaida-Ableger in Syrien“, meint Katherine Zimmerman vom American Enterprise Institute. Diese Gruppe sei heute viel gefährlicher als alle anderen al-Kaida-Ableger, weil sie Zugang zu einem großen Pool an ausländischen Kämpfern hat, die sich in Syrien aufhalten. Nicht alle dieser ausländischer Kämpfer haben sich dem IS angeschlossen. Die Gefahr, die davon ausgeht werde unteschätzt, meint die Analystin.
Dort weitermachen, wo der IS aufgehört hat
Das hat auch mit dem „Islamischen Staat“ zu tun. Der IS hat viele Ziele von al-Kaida erreicht – allerdings mit Mitteln, die Al-Kaida nie einsetzen würde (Stichwort Brutalität). Nachdem viele der Ziele allerdings bereits erreicht sind, kann Al-Kaida dort weitermachen, wo der IS aufgehört hat. „Wenn wir den IS loswerden, haben wir noch immer das Problem der breiteren salafistisch-jihadistischen Bewegungen. Es ist ja nicht so, dass die Personen, die im Westen derzeit mobilisieren und radikalisieren, mit einem Schlag aufhören, nur weil der IS besiegt ist“, sagt Zimmerman.
Sobald der IS substantiell zurückgedrängt wird, könnte die al-Kaida wieder die Führungsrolle in der globalen salafistisch-jihadisitischen Bewegung übernehmen. Diesmal allerdings aus einer Position der Stärke, weil sich al-Kaida über Jahre hinweg mit der lokalen Bevölkerung vermischt hat und es dadurch sehr viel schwieriger für westliche Staaten sein wird, zwischen al-Kaida und der Zivilbevölkerung zu unterscheiden.