Talk Radio: Amerikas Empörungsindustrie

Titelbild: Darren Cowley (Public Domain)

Millionen Amerikaner hören täglich wütende Moderatoren im Talk Radio, die gegen alles Nichtkonservative wettern. Ihr Motto „wir gegen die anderen“ ist in der US-Politik längst angekommen


Acht Patronen in der Kimber Ultra Carry II, einer kleinen Pistole, warten nur darauf, abgeschossen zu werden. Die Waffe gilt als eine der besten amerikanischen Kleinwaffen: Swat-Teams der US-Polizei haben die Pistole ebenso in ihrem Arsenal wie Spezialkommandos des Militärs. Aber diese eine Waffe wird weder von einem Polizeibeamten im Dienst noch von einem Soldaten getragen. Sie sitzt im Halfter am rechten Oberschenkel von Lars Larson, während er seine Radioshow in der Stadt Portland im Bundesstaat Oregon moderiert.

Es ist nur eine von zwei gefährlichen Waffen, die Larson bereit ist einzusetzen. Die zweite ist sein Mundwerk.

Foto von Portland
Die ehemalige Industriestadt Portland wurde zu einem der liberalsten Orte der Verinigten Staaten. Foto: Stefan Binder

In seinen beiden täglichen stundenlangen Radiosendungen fordert der Moderator in einem nicht endenwollenden Redeschwall, Hillary Clinton in einen Gefängnisoverall zu stecken, um sie wegzusperren, vergleicht er Bürgerrechtsaktivisten mit dem Ku-Klux-Klan, macht sich über Kämpfer gegen die Erderwärmung lustig, beschimpft US-Präsident Barack Obama als unehrenhaften Lügner, vergleicht ihn mit dem Teufel und nennt ihn abfällig einen Marxisten, warnt eindringlich vor Todeskommissionen durch die neu eingeführte Krankenversicherung der Regierung und behauptet selbstverständlich, dass das Einzige, was einen „bösen Mann mit einer Waffe“ aufhalten kann, ein „guter Mann mit einer Waffe“ ist.

„Wir gegen die anderen“

Die Welt Larsons, eines bekennenden Mitglieds der Republikanischen Partei und der Waffenlobby NRA, basiert auf dem Grundsatz „Wir gegen die anderen“.

Und der Radiomoderator ist umgeben von „den anderen“: Zwei Drittel aller Einwohner Portlands bezeichnen sich als liberal, der Staat Oregon hat erst kürzlich den Konsum von Marihuana legalisiert, die Delegation der Stadt im Landesparlament besteht ausschließlich aus Demokraten. Trotzdem ist Larson mit seiner Radiosendung ausgesprochen erfolgreich: 150.000 Hörer schalten laut seinem Radiosender KXL jeden Tag ein.

Lars Larson. Foto: Wikimedia/Ackpdx (CC BY-SA 4.0)

Lars Larson – das ist übrigens sein echter Name – ist keine Anomalie im amerikanischen Radiomarkt, er ist die Regel. Er gehört zu einer wortgewaltigen Armee von rechten Talk-Show-Moderatoren in den USA. Bekannt sind hierzulande nur die Stars der Branche wie Rush Limbaugh und der Fox-News-Moderator Sean Hannity. Doch im Land der vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten gibt es auch beinahe unbegrenzt viele Talk-Radio-Stationen, die Männer (und auch einige, wenige Frauen) wie Larson als Moderatoren beschäftigen. Rund 1.500 solcher Sender existieren heute.

Fairness-Doktrin

Das war nicht immer so. „Noch in den 1980er-Jahren gab es nur eine Handvoll Radiostationen, die durchgehend politisches Talk-Radio sendeten“, sagt Michael Harrison, Gründer und Herausgeber der Branchenzeitschrift „Talkers Magazine“ im Interview. Der Grund lag nicht im mangelnden Interesse der Hörer, sondern beim Gesetzgeber. „Die sogenannte Fairnessdoktrin sah vor, dass eine Radiostation bei politischen Themen dafür sorgen musste, dass auch der anderen Perspektive gleich viel Zeit eingeräumt wird.“

Auf die Gefahr, deftige Strafen zu zahlen oder gar die Sendelizenz zu verlieren, weil man nicht allen Meinungen genügend Sendezeit einräumte, wollten sich viele nicht einlassen. Ein Biedermeier im Äther war die Folge: Man sprach über Rezepte, Stars und Klatsch, Sport oder Sex. Politik blieb meistens draußen. So lange, bis Mitte der 80er-Jahre das US-Verfassungsgericht die Fairnessdoktrin aufhob, weil sie dem Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit widersprach. Der Richterspruch hatte eine regelrechte Explosion an politischen Talk-Radio-Sendungen zur Folge. Waren die rechten Rabauken, die in stundenlangen Tiraden über die politische Linke Amerikas herfallen, zunächst noch kleine Fische im Radiogeschäft, wurden sie innerhalb weniger Jahre zu den einflussreichen Stars der Branche.

One-Man-Show

So auch Lars Larson, dessen Show von einem kleinen Raum im sechsten Stockwerk eines modernen Hochhauses im Stadtzentrum von Portland aus ins ganze Land gesendet wird. Vor ihm ein schwarzes Mikrofon, hinter ihm zwei rund zwei Meter große Plakate von sich selbst. Der Radiomoderator genießt gerade die wenigen Minuten Ruhe, die ihm in der Werbepause gegönnt sind. Drei Stunden Radiosendung hat er soeben hinter sich, drei weitere Stunden liegen noch vor ihm. Drei Stunden kontinuierliches Sprechen, Diskutieren und Schimpfen – ohne Musik und mit nur wenigen Werbeunterbrechungen.

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Larson steht allein in der Stille. Ausruhen tut er sich jedoch selbst in der Pause nicht: Auf drei Computerbildschirmen liest er wütende Hörer-E-Mails, bereitet Beiträge vor und tippt auf seinem wild blinkenden Mischpult hin und her. Daneben liegt ein schwarzes Smartphone, das immer wieder wegen Alarmmeldungen oder SMS von Freunden und Bekannten vibriert. Obwohl der 56-Jährige politische Ansichten vertritt, die zuletzt vor 200 Jahren modern waren, bedient er sich moderner Technologie wie ein Teenager. „Das sind für mich nur Arbeitsgeräte“, betont er im Gespräch – fast so, als ob er nicht zu modern wirken wollte.

Tirade nach Tirade

„Laaaaaaaaars! … Das ist die Lars Larson Show. Wir senden im ganzen Land – von der Westküste Amerikas: ehrlicher, provokanter Talk.“ Die Werbeunterbrechung ist vorbei, die Stille durch die laute Ansage im Radio jäh unterbrochen. Was folgt, ist typisch für die meisten Talk-Radio-Shows in den USA: Tirade auf Tirade gegen zu viele Einwanderer, den Staat, die Liberalen, die allgemeine Krankenversicherung, Ehe für Homosexuelle, die linken Medien und die korrupten Politiker in Washington. Das sind die großen Themen, aber oft redet sich der Moderator auch stundenlang über unbedeutende Kleinigkeiten in Rage. Eine Demonstration, die die Straße blockiert, oder ein Verkehrsprojekt der Stadt – nach drei Stunden weiß man oft gar nicht mehr, um was oder gegen wen es geht. Nicht die Themen, der Furor selbst ist der Treibstoff, der die Sendung am Laufen hält.

Sarah Sobieraj, eine Soziologin an der Tufts Universität in Massachusetts, die das Phänomen wissenschaftlich untersucht hat, nennt amerikanisches Talk-Radio nicht umsonst die Empörungsindustrie. „In der heutigen amerikanischen Medienlandschaft gibt es schier endlose Möglichkeiten für Hörer, Seher und Leser. Um die Aufmerksamkeit des Publikums zu bekommen, benutzt man im Fernsehen allzu oft Sex oder Gewalt. In der politischen Berichterstattung aber erlangt man durch Empörung Aufmerksamkeit.“

Die Moderatoren versuchen emotionale Reaktionen ihrer Hörer zu provozieren – ob das Hass, Angst oder Wut ist, spiele dabei gar keine Rolle. Um das zu erreichen, wird die Sprache in eine Waffe verwandelt: Politische Gegner werden als Faschisten und Sozialisten, als naiv oder radikal diffamiert. Übertreibungen sind die Pauseneinlagen der Entrüstungsdramaturgie: Da wird die Einführung einer staatlichen Regulierung schnell zum Ende des Kapitalismus erklärt. „Wenn Menschen so etwas hören, bleiben sie stehen und hören zu. Und es ist so effektiv, dass die Menschen am nächsten Tag wieder einschalten.“

Charmeur

Wer aber einen alten, grantelnden Bösewicht hinter dem Mikrofon erwartet, wird enttäuscht: Larson, der solch dumpfe Parolen täglich ins Mikro schmettert, hat ein gewinnendes Wesen. Der gebürtige Oregoner mit burschikosem Gesicht ist geradezu ein Charmeur: freundlich, gewieft, immer einen Scherz auf der Lippe. Seine Fans hören nicht jemanden, der im Radio herumgrölt – Larson ist Geschichtenerzähler, Kommentator und Gesprächspartner. Die erfolgreichsten Talk-Radio-Moderatoren sind talentierte, unterhaltsame Entertainer.

„Solche Moderatoren haben eine persönliche Beziehung zu ihren Hörern aufgebaut, obwohl es ein Massenmedium ist“, erklärt Sarah Sobieraj. Larson verwendet in seiner Sendung gerne Wörter wie „wir“ und „unsere“, seine Hörer sind eine Art Gemeinschaft, die sich auch digital in Facebook-Gruppen trifft. Real gibt es auch persönliche Fantreffen. „Deswegen sind diese Shows und ihre Moderatoren wichtig für ihre Hörer. Einige Fans von Radiosendungen sprachen in unseren Untersuchen davon, dass sie die Beziehung zu ihrem Moderator wirklich schätzen, sie fühlen sich als Teil einer Gemeinschaft und vertrauen dem Moderator mehr, weil sie ihn täglich hören“, sagt Sobieraj.

Zusammenarbeit stigmatisiert

Das sei gerade für Konservative wichtig, weil sie befürchten würden, ob ihrer politischen Ansichten in der amerikanischen Gesellschaft negativ betrachtet zu werden. Die Radiosendungen seien ein sicherer Hafen, ein Rückzugsort für viele Konservative, die dort politische Zustimmung erfahren.

In der Welt der Politik hat Talk-Radio, dessen Methoden sich mithilfe von Fox News im Fernsehen und in zahlreichen konservativen Blogs im Internet weiterverbreiteten, hingegen das genaue Gegenteil erreicht: Kein Politiker ist mehr sicher vor dem Zorn der rechten Zuchtmeister. Kompromiss und Zusammenarbeit in Washington wurden stigmatisiert. Jede Abstimmung wird als Test der ideologischen Reinheit gesehen. „Die Abgeordneten sind sich sehr bewusst, dass sie ständig von den Talk-Radio-Shows beobachtet werden, und wissen, dass, wenn sie mit Demokraten zusammenarbeiten, es gegen sie verwendet werden wird.“ Radiomoderatoren haben für kompromissbereite Republikaner auch einen eigenen Begriff geprägt: Rinos – Republicans in name only. „Obwohl sie nicht die Mehrheit der Wähler stellen, sind die Hörer dieser Sendungen politisch engagierter und in den parteiinternen Vorwahlen aktiver als Nichthörer“, sagt Sobieraj. Das Resultat ist, dass Politiker zu immer extremeren Positionen gedrängt werden.

Die Konsequenz daraus scheint aber selbst Talk-Radio-Moderatoren wie Lars Larson nicht zu behagen. Angesprochen auf den derzeit führenden republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump rümpft er zunächst die Nase. Ein New Yorker, der früher liberale Positionen vertreten hat und mit Hillary Clinton befreundet war – so jemand soll für die Republikanische Partei ins Rennen gehen?

Die Ironie dabei sei, meint Sobieraj, dass Trump und Talk-Radio-Moderatoren erstaunlich ähnlich klingen. Ihr Stil und ihre Charakterisierung der amerikanischen Politik ähneln einander: „Sie verwenden denselben Zugang: Empörung und Übertreibung. Und die auf Empörung beruhenden Medien haben den Boden für jemanden wie Trump aufbereitet und ihn aufgewertet. Seine Popularität drückt aus, dass die Wählerschaft wütend und enttäuscht ist. Die Angst und die moralische Entrüstung, die Talk-Radio gezüchtet hat, wird von Trump gestillt.“

Titelbild: Darren Cowley (Public Domain)
Die Reise nach Portland erfolgte auf Einladung der US-Botschaft und des Presseklubs Concordia. Der Text entstand im Rahmen der Summer School zu Narrative Storytelling des „fjum“ (Forum Journalismus und Medien Wien) und der University of Oregon.

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