Gemeinsam mit der Gruppe „Our Future Our Choice“ setzt sich Pearse Smith wortgewaltig gegen den Brexit und für ein zweites Referendum ein.
Sie haben im März zusammen mit anderen Aktivisten von „Our Future Our Choice“ EU-Chefverhandler Michel Barnier in Brüssel getroffen. Sie sind 18 Jahre alt, sind in Ihrem letzten Schuljahr. Wie ist es dazu gekommen?
Pearse Smith: Ich komme aus Westbelfast, einer heruntergekommenen Gegend, die in der Vergangenheit viele Auseinandersetzungen erlebt hat. Die Gegend ist noch immer arm. Wir profitieren viel von EU-Finanzierung, um die beiden Gemeinden (Katholiken und Protestanten, Anm.) zusammenzubringen.
Sie kennen bestimmt die Geschichte von Belfast: Die Gemeinschaft ist sehr, sehr gespalten. Ein Teil will beim Königreich bleiben, der andere Teil will zur Republik Irland. Und der Konflikt endete erst vor 20 Jahren. Die Erinnerung daran ist noch immer sehr präsent. Wir versuchen diese Gruppen zusammenzubringen, aber das wird alles durch den Brexit in Gefahr gebracht.
Wir treten für eine Volksabstimmung über den endgültigen Deal mit einem EU-Verbleib als Option am Stimmzettel ein. Außerdem wollen wir, dass das Wahlalter auf 16 herabgesetzt wird. Ich und drei andere bei „Our Future Our Choice“ hatten nicht die Möglichkeit, beim Referendum mitzubestimmen. Bei einem zweiten Referendum dürfte ich abstimmen, obwohl die beiden anderen alles über Brexit und den Backstop wissen. Sie engagieren sich und wollen, dass ihre Stimmen gehört werden, dennoch dürften sie bei einem zweiten Referendum nicht abstimmen.
Es wurde bereits abgestimmt, warum sollte es ein zweites Referendum geben?
Smith: Weil wir nun so viel mehr wissen als 2016, deswegen sollte man die Menschen nochmals entscheiden lassen. Das findet bei uns in Nordirland starken Widerhall. Das Karfreitagsabkommen beendete 1998 einen 30-jährigen Konflikt, bei dem mehr als 3.000 Menschen auf den Straßen Nordirlands starben.
Das war ein Deal, der zuerst verhandelt wurde und dann der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt wurde. Man hatte also ein Dokument vor sich, bei dem man sehen konnte, was drinsteht und wie man davon betroffen ist. Bei der Abstimmung über den EU-Austritt bekamen wir diese Möglichkeit nicht. Uns wurde gesagt, wenn wir für den Brexit stimmen, bekommen wir eine stärkere Wirtschaft, bessere Jobs – das stellte sich als falsch heraus. Man sollte Nordirland als Modell folgen: Das Karfreitagsabkommen war ein riesiger Erfolg, um den Frieden zu sichern.
Theresa May soll ihren Deal der Bevölkerung zur Abstimmung vorlegen, damit die Menschen über harte Fakten abstimmen können. Und dann sollen sie die Möglichkeit haben zu sagen, ob sie für Theresa Mays Deal sind oder in der Europäischen Union bleiben wollen.
Wie ist die Gruppe „Our Future Our Choice“ entstanden?
Smith: Der Gründer der britischen Gruppe stimmte ursprünglich für den Brexit. Als er herausfand, dass er angelogen wurde, sagte er sich, dass es eine Schande ist, und fand heraus, dass viele andere Jugendliche genauso denken. Wenn man sich die Resultate des Referendums ansieht, so sieht man eine beinahe perfekte Korrelation zwischen Alter und dem Pro-Brexit-Votum. Die junge Generation sieht sich viel internationaler, europäischer, im Gegensatz zu dieser alten Grundhaltung, sich nur als britisch zu sehen. Viele Junge erkennen, dass der Brexit sie wesentlich stärker betreffen wird.
Sie haben mit Ihrem Engagement einen sehr moderaten, zivilisierten Zugang gewählt …
Smith: … im Gegensatz zu einer Auseinandersetzung auf der Straße?
In Nordirland nicht selbstverständlich. Warum sind Sie diesen Weg gegangen?
Smith: Der Wahlkampf um das Referendum 2016 wurde sehr aggressiv, sehr ruchlos und sehr verbittert geführt. Wir stimmen mit diesem Weg nicht überein. Es sollte keinen Hass oder Bitterkeit geben. Lasst uns eine Diskussion darüber führen, und sobald man über den Brexit zu diskutieren beginnt, begreifen die Menschen, dass es eine schreckliche Idee ist. Es gibt keinen Grund, diesen harten Weg zu beschreiten, man muss nur vernünftig miteinander reden.
Falls der Brexit dennoch kommt, was machen sie dann?
Smith: Das kommt darauf an, welchen Brexit wir bekommen, denn derzeit kann ein Brexit nicht geschehen, weil Theresa Mays Vorschlag in keinem der 650 Wahlkreise eine Mehrheit hat, und für einen No-Deal gibt es auch keine Mehrheit in der Bevölkerung. Das scheinen derzeit aber die einzigen beiden Brexit-Optionen zu sein, und keine der beiden hat die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung. Und wenn Sie sagen: „Falls der Brexit dennoch kommt …“ – wir wissen noch immer nicht, was der Brexit bedeutet. Im Moment glaube ich nicht, dass der Brexit kommt, ich hoffe, dass er nicht kommt, und er darf nicht passieren.