Virtueller Brandbeschleuniger für Jihadisten-Nachwuchs

Jihadisten-Botschaft

Jugendliche aus Österreich rufen im Internet zur Unterstützung des „Islamischen Staates“ und zur Verfolgung von Jesiden auf. Der Verfassungsschutz ermittelt bereits wegen Verhetzung.

Facebook und Online-Foren ließen zuletzt viele heimische Computer heißlaufen: „Fangt sie an den Bahnhöfen ab!“ und „Ich wünsche ihnen die Vernichtung (…) des Jesidentums!“, waren Sätze, die von Jugendlichen in Österreich gepostet wurden und seither für Irritation und Schlagzeilen sorgen.

Die Jesiden, die im Irak von Kämpfern des „Islamischen Staates“ (IS) mit dem Tod bedroht werden, sehen sich auch hierzulande zumindest verbaler Verfolgung von Anhängern radikaler Islamisten ausgesetzt. Mevlüt Cücücyasar, Sprecher des Dachverbandes der kurdischen Vereine in Österreich, geht davon aus, dass es in Österreich zwischen 1000 und 1500 Jesiden gibt. Die meisten von ihnen sind nach der ersten jihadistischen Gewaltwelle im Irak vor sieben Jahren nach Österreich geflohen. Die Drohungen im Internet seien von den Jesiden hierzulande wahrgenommen worden. Vor allem die tätlichen Angriffe auf Jesiden durch radikale Islamisten in Deutschland haben sie zusätzlich verunsichert, sagt Cücücyasar.

Die Anzahl an heimischen Unterstützern des „Islamischen Staates“, die in den vergangenen Tagen ersichtlich wurde, überrascht Moussa al-Hassan Diaw nicht. Der Religionspädagoge, der sich auch international gegen Radikalisierung und religiösen Fundamentalismus engagiert, schätzt, dass in Österreich rund 500 Personen mit dieser Ideologie sympathisieren.

Suche nach Gemeinschaft

Einen gemeinsamen sozialen, familiären oder muttersprachlichen Hintergrund gebe es aber nicht. „Gemeinsam haben sie, dass sie mit dieser religiös verbrämten, politischen und utopistischen Ideologie in Kontakt gekommen sind“, so Diaw. Es handle sich um Personen, die aus der Bedeutungslosigkeit ausbrechen wollen, sich ausgegrenzt und nicht angenommen fühlen und nach „der“ wahren, gerechten Gemeinschaft suchen.

Das bekannteste Beispiel dafür ist derzeit Firas H. Der 19-jährige Wiener mit tunesischen Wurzeln ist zum bekannten Gesicht im heimischen Boulevard geworden. Zu verdanken hat er das großteils seinem Facebook-Auftritt, auf dem er öffentlich und für alle sichtbar seine Erlebnisse aus dem neu gegründeten Kalifat in der syrischen Stadt Raqqa postet. Noch vor wenigen Jahren war er von den meisten Teenagern kaum zu unterscheiden. Auf einem alten Online-Profil erklärt er, Shakira und David Guetta zu hören; jetzt postet er Fotos von Hinrichtungsstätten und Militärparaden des „Islamischen Staates“. Seit vergangener Woche wird er von den österreichischen Behörden per internationalem Haftbefehl gesucht.

Wie gefährlich die IS-Anhänger in Österreich außerhalb der virtuellen Welt sind, sei schwer einzuschätzen, meint Diaw. Quantitativ sei die Zahl verhältnismäßig niedrig; aber letztlich „braucht es nicht viele, um eine Katastrophe auszulösen“. Das Internet spiele bei Radikalisierungen eine immer wichtigere Rolle: Bedurfte es früher noch bestimmter Orte und Personen für Radikalisierung, reichten heute Bilder und Videos, die mit einem Klick online gestellt werden können. Diaw: „Ein junger Muslim, der von den Eltern, Lehrern oder Imamen keine Antworten bekommt, kann sich im Netz auf die Suche begeben und dann sozusagen bei den Falschen landen.“

Verfassungsschutz ermittelt

Gerade auf sozialen Plattformen sammelt sich ein Potenzial aus frustrierten Jugendlichen, die sich vor den Computerbildschirmen gegenseitig hochschaukeln. Die Angreifer sind dabei immer die anderen. Auch die virtuell ausgestoßenen Drohungen der vergangenen Tage folgten diesem Narrativ: Jesiden in Europa wurden beschuldigt, Muslime attackiert und Moscheen angegriffen zu haben. Der Grundstein für die Aufregung war gelegt, die Opferrolle aufbereitet. Kurze Zeit später konnte auf Facebook im Minutentakt mitverfolgt werden, wie sich die Jugendlichen anstachelten und ein regelrechter Wettstreit losbrach, wer extremere Aussagen trifft.

Was als gepostetes Bild einer beschädigten Moschee beginnt, endet oft im strafrechtlich relevanten Bereich: Der Wiener Verfassungsschutz ermittelt derzeit gegen mehrere Personen wegen des Verdachts auf Verhetzung. Über Konsequenzen machen sich die Jugendlichen wenig Gedanken oder Sorgen – eher im Gegenteil: In einer heimischen Tageszeitung erwähnt zu werden, gilt als Ehre. Selbst kleinste Artikel zu ihren Online-Aktivitäten werden von den Jugendlichen stolz gepostet. „Journalisten sollen und müssen informieren“, meint Diaw, „aber Medien sollten nicht nur ’negative Helden‘ produzieren und so oft auch zu Multiplikatoren der jihadistischen Propaganda werden.“ Durch die Übernahme und Verbreitung entstehe „eigentlich ein PR-System wider Willen durch Mitwirkung der Medien. Andererseits werden kritische muslimische Stimmen – und die gibt es – vergleichsweise nicht so prominent präsentiert.

Eine Version dieses Artikels erschien am 16. August 2014 auf derStandard.at

Du magst vielleicht auch