Syrien ist Tummelplatz für Männer geworden, die ihren Glauben verteidigen wollen. Doch nicht nur Sunniten ziehen in den Jihad.
Es war ein windiger Tag in Sayyida Zaynab, einem Vorort südlich von Damaskus, als islamistische Kämpfer eine Fahne auf der goldenen Spitze der Moschee des Ortes hissten. Doch die Fahne war nicht schwarz – die dominate Farbe unter sunnitischen Extremisten – sondern rot. Es waren Schiiten der Abu Fadl al-Abbas-Brigaden, die nach Syrien gekommen waren um ihrer Version des bewaffneten Jihad zu folgen.
Der Name der Gruppe ist an schiitischer Symbolkraft schwer zu übertreffen: Abu Fadl al-Abbas, Sohn des ersten schiitischen Imams Ali, galt als einer der besten und tapfersten Kämpfer in den Anfangsjahren der Shia. Während der Schlacht von Kerbala (680 n.Chr.), die für Schiiten ein zentrales identitätsstiftendes Ereignis ist, wurden ihm beim Versuch Wasser für seine Angehörigen zu holen von den verfeindeten sunnitischen Truppen beide Arme abgetrennt. Der schiitischen Geschichtsschreibung zufolge, versuchte Abu Fadl al-Abbas das Gefäß mit Wasser noch mit seinem Mund zu den hilflos unterlegen Schiiten zu transportieren – Aufopferung bis zum Tod.
Abu Fadl al-Abbas-Brigaden
Die Gruppe tauchte das erste Mal im Herbst 2012 in Syrien auf und dürfte zu einem Großteil aus nicht-syrischen Schiiten der Region bestehen, die seither Seite an Seite mit Assad-treuen Milizen und Regime-Truppen kämpfen. Die Abu Fadl al-Abbas-Brigaden sind dabei nur eine von vielen Gruppierungen, die die syrischen Streitkräfte gegen bewaffnete sunnitische Oppositionelle unterstützen.
Derartige Milizen „operieren meistens in strategisch wichtigen Zonen, wo das Assad-Regime Druck und Unterstützung gegen sunnitischen Kräfte braucht. Sie kontrollieren wichtige Transportrouten und neuralgische Punkte wie z.B. den Damaszener Flughafen und umliegende Gebiete“, sagt Phillip Smyth im Gespräch mit derStandard.at. Der US-Wissenschaftler dokumentiert u.a. mit seiner Artikelserie Hizballah Cavalcade akribisch die Aktivitäten militanter schiitischer Gruppierungen in Syrien.
Gut geplantes Engagement
Die bekannteste und größte unter ihnen ist die libanesische Hisbollah, deren Anführer Hassan Nasrallah seinen Anhängern den Sieg in Syrien versprochen hat. All diesen Milizen gemein ist das Konzept des Valeyat e-Faqih – der leitenden Ideologie des Iran. „Das bedeutet, dass diese Gruppen den Entscheidungen des obersten iranischen Rechtsgelehrten, Ayatollah Khamenei, Folge leisten“, sagt Smyth.
Die ausländischen schiitischen Milizen in Syrien sind meist gut ausgebildet, gut bewaffnet und hoch motiviert. Laut Einschätzung von Smyth sind sie nicht in diesen Konflikt gestolpert – im Gegenteil: „Das Engagement dieser Milizen im syrischen Bürgerkrieg erfolgte stufenweise. Die ersten Kontingente kamen Anfang 2012 und operierten vor allem in Damaskus. Das steigerte sich im Sommer, aber so richtig los ging es im Herbst 2012. Das war auch der Zeitpunkt als von einigen Milizen eingestanden wurde, dass sie in Syrien kämpfen.“
Narrativ für Engagement in Syrien
Im Mai 2013, als Hisbollah-Kämpfer an der Seite von Assads Truppen die Stadt Kusseir zurückeroberten, konnte auch die libanesische Schiiten-Organisation ihr Engagement im Nachbarland Syrien nicht mehr leugnen. Wobei Smyth nicht an Zufälle glaubt: „Man erkennt viel zu wenig die Fähigkeit der Hisbollah an, im Lauf des letzten Jahres schrittweise ein Narrativ für ihr Engagement in Syrien aufzubauen: Die schiitschen Schreine im Nachbarland vor Angriffen sunnitischer Extremisten schützen zu müssen.“
Dieses Narrativ unterstützen sunnitische Jihadisten ganz ohne Zutun der Hisbollah oder des Iran: Schiitische Schreine werden immer wieder Opfer von Anschlägen durch Takfiri, die Schiiten als vom Glauben Abgefallene ansehen. „Der Iran deklariert quasi jeden Rebellen in Syrien zum Takfiri: Wenn man den Rebellen hilft, unterstützt man dieser Logik zufolge jene Kräfte, die Minderheiten und Schiiten vernichten wollen“, sagt Smyth. „Die islamische Republik porträtiert das in einem größeren Kontext, wonach es einen globalen Krieg gegen Schiiten gäbe, hinter dem die USA und Israel stecken würden“ – ein Narrativ, das angesichts regelmäßiger Anschläge auf schiitische Ziele im Irak, der Verfolgung schiitischer Minderheiten in Pakistan und dem Bürgerkrieg in Syrien, Anklang bei vielen Schiiten findet.
In dieses globale Narrativ wird noch eine lokale Komponente eingeflochten: „Was zum Beispiel Kämpfer aus dem Irak in Interviews immer wieder sagen, ist, dass sie lieber in Syrien kämpfen, damit die Kämpfe nicht auf ihre Heimat übergreifen. Das ist auch, was die Hisbollah im Libanon verstärkt als Argument anführt: Wir bekämpfen sie lieber dort, sonst kommen sie zu uns“, sagt Smyth.
Propaganda mit Musik
Immer öfter sind Musikvideos schiitischer Sänger und Bands dabei behilflich, diese Sichtweise zu verbreiten. Musik für Propaganda zu nutzen ist für schiitische Milizen nichts Neues: schon in den 80ern engagierte die libanesische Hisbollah eine ganze Reihe an Musikgruppen, die ihre Weltsicht rhythmisch bekannt machten. Heute sind es auffallend viele Iraker, die musikalisch zur bewaffneten Unterstützung der Schiiten in Syrien aufrufen.
Der irakische Sänger Muhammad Abu Azrael al-Karbala’i beschwört in seinem Musikvideo die syrische Armee, nicht zu versagen. Die bewaffneten Backgroundtänzer wippen mit.
„Den schiitischen Abu Fadl al-Abbas-Brigaden gewidmet“ lautet die Beschreibung eines dieser Lieder, das die Befürchtungen vieler Schiiten widerspiegelt. Der Song, der im April 2013 in Online-Foren und später auf Youtube veröffentlicht wurde, drückt die Ängste aus, was bei einem Scheitern der Assad-treuen Streitkräfte passieren könnte: „Oh Armee, nur Gott weiß, was passiert, wenn ihr versagt“, lautet eine Strophe. An die Freie Syrische Armee (FSA) ergeht die Warnung, „die Rote Linie nicht zu überschreiten. Wir werden euch zum Schweigen bringen.“
Widerspruch
Der Sänger des Liedes, Muhammed Abu Azrael al-Karbala’i, gilt eigentlich als Anhänger des irakischen Schiiten-Klerikers Muqatada as-Sadr. Das überrascht, denn Sadr gehört gemeinsam mit Ayatollah Ali al-Sistani zu jenen schiitischen Anführen im Irak, die das Engagement schiitischer Kämpfer in Syrien kritisch sehen. Nicht alle Schiiten wollen sich vor den iranischen Karren spannen lassen. Sadr hat sogar angekündigt, Kämpfer seiner Miliz, die nach Syrien gehen, zu bestrafen.
„Doch der Iran sagt: ‚Es ist nicht wirklich wichtig, was diese (irakischen, Anm.) Kleriker meinen. Wir beschützen die Schia, wir machen das schon. Wenn ihr Assad unterstützt, verteidigt ihr dadurch die schiitischen Schreine.‘ „, meint Smyth in Bezug auf die iranische Strategie. Die Taktik scheint aufzugehen: Beinahe monatlich wird in Syrien die Gründung neuer schiitischen Milizen bekanntgegeben.