Israels Drusen fordern eine Intervention im syrischen Bürgerkrieg zugunsten ihrer Glaubensbrüder, die von radikalen Islamisten bedroht sind.
Es waren wüste Szenen, die sich Montagabend in der Nähe von Majdal Shams im Norden Israels abspielten. Ein aufgebrachter Mob attackierte einen Militärkrankentransport, der zwei Verletzte ins Krankenhaus bringen wollte. Die Angreifer waren Drusen, die in dem Fahrzeug verletzte Islamisten vermuteten.
Bei dem Vorfall, bei dem neben Fäusten auch Steine und andere Geschoße flogen, ist einer der beiden syrischen Verletzten gestorben. Der zweite Patient wurde schwer verletzt, auch zwei Soldaten, die die beiden begleiteten, trugen Blessuren davon. Inzwischen wurden insgesamt neun mutmaßliche Verdächtige verhaftet. Die israelische Polizei geht davon aus, dass ein Soldat den Angreifern den Tipp gegeben hatte. Es war nicht der erste derartige Vorfall an diesem Tag, zuvor wurde ebenfalls ein Krankenwagen angegriffen.
Aufgestauter Zorn
Das Geschehen spiegelt den aufgestauten Zorn vieler Drusen in Israel über die Untätigkeit ihrer Regierung wider. Mehr als 100.000 Drusen leben in Israel, mehr als doppelt so viele im Libanon und sieben Mal so viele – rund 700.000 – in Syrien. Die Mitglieder der islamischen Sekte werden von radikalen Islamisten wie dem „Islamischen Staat“ (IS) und dem syrischen Al-Kaida-Ableger „Jabhat an-Nusra“ (JN) als Häretiker angesehen.
Als Anfang 2015 „Jabhat an-Nusra“-Mitglieder Drusen, die in Dörfern in der Provinz Idlib lebten, zwangen, zum Islam zu konvertieren, war das nur ein Vorgeschmack auf das, was die Drusen von den radikalen Islamisten noch zu erwarten hatten. Erst Anfang Juni wurden rund 20 Drusen Opfer eines Massakers durch Kämpfer der „Jabhat an-Nusra“.
Trotzdem sind die Fronten nicht immer klar, die Position der Drusen im syrischen Bürgerkrieg erst recht nicht.
Drusen und Islamisten
Walid Jumblatt, schillender Drusenführer im Libanon, unterstützte etwa in einem Interview Anfang des Jahres offen die „Jabhat an-Nusra“, das Massaker an Drusen bezeichnete er gar als „Einzelfall“.
Für Tobias Lang, Wiener Politikwissenschafter und Autor des Buches „Die Drusen im Libanon und Israel“, sind die Aussagen Jumblatts ein Versuch, die Drusen neutral zu positionieren. „Das ist ihm im Libanon auch ganz gut gelungen, immerhin waren während der Bombenanschläge letztes Jahr Drusen keine primären Ziele und auch in den drusischen Dörfern nahe der Grenze zu Syrien hat es bis jetzt keine Attacken von Jabhat an-Nusra gegeben“, so Lang in einer E-Mail.
Der Cluster von drusischen Dörfern in der Provinz Idlib wäre zudem schon länger unter Kontrolle der „Jabhat an-Nusra“. „Jumblatts Mediation hat mit großer Sicherheit dazu beigetragen, dass bis vor kurzer Zeit außer massiven Einschnitten in die Religionsfreiheit keine Verfolgung stattgefunden hat.“ Auch das Massaker an rund 20 Drusen Anfang Juni durch Kämpfer der „Jabhat an-Nusra“ sei im Nachhinein von dieser verurteilt worden: „Ein interessanter Kontrast, wenn man sich zum Beispiel die Verfolgung der Jesiden durch den IS vor Augen führt. Ich bin überzeugt, dass es ohne Jumblatt in Idlib schon viel früher zu ähnlichen Massakern wie Anfang des Monats gekommen wäre.“
Drusen und das Regime
Doch auch dem Assad-Regime stehen viele Drusen – in Syrien traditionell eher nationalistisch eingestellt – immer kritischer gegenüber. Zwar kämpfen tausende Drusen an der Seite des syrischen Regimes, doch verweigern mehr und mehr von ihnen den Militärdienst. „Derzeit gibt es besonders in Suweida eine wachsende Kluft zwischen dem Regime und den Drusen, was auch den vielen Zwangsrekrutierungen geschuldet ist. Mit Scheich Balous hat sich eine neue Führungsfigur herauskristallisiert, die sehr regimekritisch ist und eigene Milizen aufgestellt hat“, meint Lang. Gleichzeitig würden aber viele Drusen auch einen Rückzug des Regimes aus der Region fürchten, wodurch sie mit „Jabhat an-Nusra“ und dem „Islamischen Staat“ alleingelassen wären.
Ursprünglich, so Lang, gab es zu Beginn des Bürgerkrieges durchaus auch vereinzelt drusische Rebellengruppen: „Aber mit der wachsenden Islamisierung des Aufstandes wurden sie entweder herausgedrängt, haben von selber aufgehört oder sind ganz einfach durch die syrische Armee oder Pro-Assad-Milizen zerschlagen worden.“ Eine ähnliche Entwicklung habe es auch bei politischen Aktivisten der Drusen gegeben.
Drusen und Israel
Ihr Versuch, möglichst neutral zu bleiben, hat die Drusen in eine Situation manövriert, in der sie zwischen allen Stühlen sitzen. Viele Drusen im benachbarten Israel hoffen daher auf eine Intervention ihrer Regierung zugunsten der Glaubensbrüder in Syrien. Mehrere Entwicklungen, die nicht alle zusammenhängen, hätten dazu geführt, meint Lang: das Massaker in Idlib, die steigende IS-Aktivität in Suweida, wo die meisten Drusen leben, großer Druck durch verschiedene Rebellengruppen auf die Region und die prekäre Lage des von Rebellen eingeschlossenen Dorfes Hadhar, das in Sichtweite Israels liegt.
Weiter angeheizt wird die Situation dadurch, dass einige Drusen in Israel ihre Regierung verdächtigen, mit „Jabhat an-Nusra“ zu kooperieren. Dafür, so Lang, habe er noch keine Beweise gesehen. „Dass Israel mit Rebellengruppen entlang der Waffenstillstandszone kooperiert, halte ich aber für erwiesen.“ Israel versorge syrische Rebellen medizinisch in einem Feldspital aber auch in normalen Krankenhäusern.
Wirtschaftliche Lage
Hinzu kommt die innenpolitische Frustration, die sich lange aufgestaut hat. Lang: „Die wirtschaftliche Lage ist nicht zufriedenstellend und die Unzufriedenheit mit der Regierung groß, besonders wegen immer wiederkehrenden Vorwürfen der Enteignung von Land für öffentliche Zwecke. Man fühlt sich trotz der Wehrpflicht der jüdischen Mehrheit gegenüber diskriminiert – meiner Meinung nach zu Recht.“ Fazit des Drusenexperten: „Israels Drusen sind eine tickende Zeitbombe.“
Doch wollen Syriens Drusen überhaupt eine Intervention Israels? Laut Lang sei es schwierig, diesbezüglich eine allgemeine Aussage zu treffen: „Die meisten syrischen Drusen sehen in Israel vermutlich primär eine Besatzungsmacht, die ihnen fast eine ganze Provinz weggenommen hat. Allerdings ist die Lage vielerorts derart prekär, dass unterdessen wohl jede Hilfe angenommen wird.“