Richter im Libanon: Homosexualität ist kein Verbrechen

Regenbogenfahne
Titelbild: „Rainbow Flag“ von Flickr/qthomasbower , Lizenz: (CC BY 2.0) 

Ein Berufungsgericht hat den Freispruch mehrerer verhafteter Homosexueller bestätigt. Ein weiterer Schritt zur Entkriminalisierung im Libanon.

Stück für Stück wird Homosexualität im Libanon entkriminalisiert. Mitte Juli 2018 hat erstmals ein Berufungsgericht entschieden, dass einvernehmlicher Geschlechtsverkehr zwischen zwei Menschen desselben Geschlechts nicht unrechtmäßig sei. Wie in fast allen Ländern der Arabischen Welt, ist auch im Libanon Homosexualität verboten.

Bisher mussten Homosexuelle und Transgender im Libanon neben der Alltagsdiskriminierung auch Haftstrafen befürchten.

Paragraph 534

Die gesetzliche Grundlage dafür ist der berüchtigte Paragraph 534 im libanesischen Strafgesetzbuch. Dieser sieht eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr für Geschlechtsverkehr “wider der Natur” vor. In der Vergangenheit wurde der Paragraph immer wieder dafür verwendet, gegen Homosexuelle im Libanon vorzugehen.

Wer darin allerdings ein Zeichen für islamischen Einfluss in der libanesischen Gesetzgebung sieht, irrt. Der Paragraph ist ein Relikt aus der französischen Mandatszeit im Libanon.

Das nunmehrige Berufungsurteil geht auf die Verhaftung von neun Personen in einem Beiruter Vorort vor rund drei Jahren zurück. Die Behörden bezichtigten die Festgenommenen, dass sie homosexuell und transgender seien. Allerdings wurden sie nicht verurteilt:  2017 entschied nämlich der Richter in der Erstinstanz, dass “Homosexuelle das Recht haben, eine intime Beziehung zu führen”, ohne Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung befürchten zu müssen. Zu dem nunmehrigen Richterspruch des dreiköpfigen Berufungssenats, der den Freispruch des Erstgerichts bestätigte, kam es nur, weil die Staatsanwaltschaft gegen dieses erstinstanzliche Urteil berief.

„Gesunder Menschenverstand“

Ihr Urteil begründeten die Richter damit, dass das Strafgesetzbuch mit “gesundem Menschenverstand” interpretiert werden müsse. Demnach könne Geschlechtsverkehr zwischen zwei Erwachsenen desselben Geschlechts nicht als “unnatürlich” angesehen werden, solange Moral und Ethik nicht verletzt werden. “Dies sei der Fall wenn der Geschlechtsverkehr von anderen gesehen oder gehört werde, in der Öffentlichkeit prakiziert wird oder Jugendliche, die geschützt werden müssen, involviert sind”, zitiert Human Rights Watch aus dem Gerichtsurteil.

Damit rückt die Judikatur den Libanon weiter Richtung Entkriminalisierung von Homosexualität. Es wäre damit nach Jordanien das zweite Arabisches Land.

Aktive LGBTI-Community

Generell gilt der Libanon als eines der progressivsten Länder der Arabischen Welt. Der Paragraph 534 wird nur unregelmäßig und ohne erkennbares  Muster von den Behörden verfolgt. Gleichzeitig hat sich im Land eine der aktivsten LGBTI-Szenen der Region entwickelt. Speziell in Beirut ist die LGBTI-Community aktiver und sichtbarer Bestandteil des Nachtlebens. Hamed Sinno, der Lead Sänger der libanesischen Indie-Rock-Band Mashrou’ Leila, ist z.B. einer der bekanntesten offen-homosexuellen Künstler der Arabischen Welt.

Beirut Pride Week
Beirut Pride: 2017 fand im Libanon erstmals die Pride Week statt. 2018 wurde die Veranstaltung nach Behördendruck abgesagt. (Foto: Flickr/IDAHOTCC BY-SA 2.0)

2017 feierte die LGBTI-Community des Libanon zum ersten Mal in einem arabischen Land die Pride Week. Dass jedoch noch ein weiter Weg bis zur Gleichstellung liegt, hat das folgende Jahr gezeigt: 2018 musste die Pride Week nach Behördendruck abrupt abgesagt werden. (siehe dazu: Einzige LGBTI-Veranstaltung der Arabischen Welt abgesagt)

Dysfunktionales Parlament

Ob das Urteil hält, hängt noch davon ab, ob die Staatsanwaltschaft Berufung dagegen eingelegt. Falls ja, würde der Fall vor dem Kassationsgericht, der höchsten juristischen Instanz des Landes, landen.

Libanons Parlament in Beirut
Schön zum Anschauen, aber inhaltlich ziemlich dysfunktional: Das libanesische Parlament (rechts) am Place de l’Etoile im Zentrum Beiruts. (Foto: Stefan Binder ©)

Endgültig lösen könnte die gesetzliche Diskriminierung durch Paragraph 534 letztlich nur das libanesische Parlament. Obwohl sich bei der jüngsten Parlamentswahl mehrere Kandidaten für eine Abschaffung des Gesetzes ausgesprochen haben, gilt dessen Beseitigung dennoch als sehr unwahrscheinlich.

Denn das libanesische Parlament ist geradezu legendär dysfunktional (siehe dazu: Wahlen im Libanon: The Good, the Bad, the Ugly) Die seit Jahren schwelende Elekrizitätskrise ist ebenso wenig gelöst wie die Müllproblematik, die sich unlängst sogar verschärfte. Ein wirtschaftlicher Kollaps des Landes ist mittlerweile nicht mehr ausgeschlossen.

Autor: Stefan Binder.
Veröffentlicht am 21.7.2018
Titelbild: Flickr/qthomasbower – (CC BY 2.0) 

Leseliste:
Beirut Pride: Einzige LGBT-Veranstaltung der Arabischen Welt abgesagt
Wahlen im Libanon: The Good, the Bad, the Ugly
HRW.org:  Same-Sex Relations Not Illegal

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