Katar: Wie man aus einer Halbinsel eine Insel macht

Dohas Hauptstadt Katar
Titelbild: „qatar cityscape2“ von Flickr/Ding Digital Photography ,Lizenz: (CC BY 2.0) 

Seit mehr als einem halben Jahr versucht eine von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten geführte Koalition Katar mit einer Blockade in die Knie zu zwingen – ein offenbar aussichtsloses Unterfangen.

Das hat man sich in Riad und Abu Dhabi wohl anders vorgestellt: Eine von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angeführte Allianz sollte Katar, den Kleinstaat am Golf mit weltpolitischen Ambitionen, endlich in die Knie zwingen. Zunächst brach man die diplomatischen Verbindungen ab, dann verhängte man Sanktionen und zuletzt schloss man die Grenzen. Von den Betroffenen am persischen Golf kam bisher aber nur eine Reaktion: Trotz.

Dabei hat es die Blockade in sich: Die Landgrenze und die Wasserwege nach Katar sind seit 5. Juni 2017 großteils gesperrt. Auch in der Luft trat eine Blockade in Kraft. Nur über einen schmalen Korridor können Flugzeuge nach Katar. Auch Schiffe haben nur eingeschränkte Möglichkeiten Häfen in Katar anzulaufen. Die Auswirkungen der Blockade waren vor allem in den Anfangsmonaten zu spüren: Viele Waren mussten statt über den Wasserweg via Luftfracht eingeflogen werden – die Preise schossen nach oben.

Diversifikationsstrategie

Ende 2017 musste das Finanzministerium des Emirats schließlich bekanntgeben, dass es im Jahr 2018 ein Defizit in der Höhe von 7,7 Milliarden Dollar plant. Doch Katar will sich nicht geschlagen geben – im Gegenteil. Die Blockade, so das Narrativ aus Doha, soll Katar sogar helfen noch unabhängiger zu werden. Bereits in den beiden vorangegangenen Jahren wies das Land vor allem aufgrund der niedrigen Rohstoffpreise ein Budgetdefizit aus. “Die Blockade hat, wenn überhaupt, unserer ökonomischen Diversifikationsstrategie einen neuen Impuls gegeben”, sagte Finanzminister Ali Sharif al-Emadi bei der Präsentation der Budgetzahlen. Denn – und das hätte man in Riad und Abu Dhabi eigentlich wissen können – Katar ist das Land mit dem höchsten pro-Kopf-Einkommen der Welt.

„Die Kataris, die bisher eine Halbinsel waren, haben sich gesagt: Wir sind ab jetzt eine Insel und müssen unsere nationale Strategie auch dementsprechend ausrichten“, sagt Andreas Krieg vom King’s College in London im Interview. Der Assistenzprofessor in London war mehrere Jahre Militärberater in Katar. Um das Ziel der geringeren Abhängigkeit zu erreichen, investiert das Land derzeit sehr viel im Oman. Dort wurden große Summen vor allem in den Ausbau eines neuen Hafens gesteckt. Bisher wurden Ladungen von großen Schiffen in Dubais Megahafen Jebel Ali auf kleinere Schiffe umgeladen, um dann Katar anzulaufen. Da dies seit der Blockade nicht mehr möglich war, sollte das katarischen Logistikunternehmen im Oman ermöglicht werden.

Reich, reicher, Katar

Dass sich der Kleinstaat das überhaupt leisten kann, liegt am Gas. Sehr viel Gas. Schon in der Zeit des britischen Protektorats wurden in Katar erste Ölvorkommen gefunden, die es dem Land ab den 1950er-Jahren ermöglichten, eine moderne Infrastruktur zu errichten.

Liquifizierungsanlage in Katar
Die Oryx GTL Liquifizierungsanlage in Katar (Foto:“Oryx GTL plant“ von Wikimedia/SATOL , Lizenz: (CC BY-SA 3.0)

Ausgerechnet 1971, im Jahr der Unabhängigkeit, stieß man aber auf das größte Gasfeld der Welt. Dabei war der Fund zunächst eine Enttäuschung, hoffte man doch auf Rohöl wie in Saudi-Arabien. Anfangs wurde dem Gas im Golf auch keine große Bedeutung zugemessen, weil es in den 70er-Jahren in der Arabischen Welt keinen nennenswerten Verbrauch gab. Es dauerte bis in die 90er-Jahre bis Gas in Flüssigform und somit in Tankern transportiert werden konnte. Die Herrscher Katars setzten in dieser Zeit alles auf eine Karte und investierten riesige Mengen in eine Gasverflüssigungsanlage in Ras Laffan im Nordosten des Landes. Der Mut sollte sich auszahlen: Heute exportiert das kleine Land mehr als 50 Millionen Kubikmeter Gas täglich, rund 30 Prozent des weltweiten Gasbedarfs werden von Katar gedeckt.

Die nur 300.000 Staatsbürger des Landes haben ein jährliches Durchschnittseinkommen von mehr als 125.000 Dollar – Versorgungsposten (jede Firma in Katar muss im 51-prozentigem Besitz eines Kataris stehen), gratis Bauland und gratis Bildung inklusive.

Ein Ende des Gasreichtums ist selbst in Anbetracht des hohen Produktionsniveaus nicht in Sicht: Reichen die Ölvorräte Katars Prognosen zufolge nur bis zum Jahr 2023, sollen die Gasvorkommen noch Jahrzehnte reichen; Schätzungen gehen sogar von mehr als 100 Jahren aus.

Trotzdem wird seit Jahren eine aggressive Diversifikationsstrategie gefahren. Schon früh kamen die Herrscher am Golf zu dem Schluss, dass sie die Basis ihres Reichtums verbreitern müssen. Solange Öl und Gas noch strömen, investieren sie in alle denkbaren Geschäftsfelder: Die Finanzindustrie, Immobilien, Mode, Sport und Kunst stehen auf der Einkaufsliste. Ein Teil der Einkünfte fließt in die Katar-Holding, die Anteile von Valentino über Siemens bis hin zum Londoner Einkaufstempel Harrods hält.

Harrods in London
Seit 2010 in den Händen Katars: Harrods in London (Foto: „Glowing Harrods“ von Flickr/Michael Caven, Lizenz: (CC BY 2.0)

Hinter der aggressiven Diversifikationsstrategie steckt ein Schock, den viele Scheichs der Gründergeneration der Golfemirate selbst miterleben mussten. Nicht, dass die Einwohner des persischen Golfs vor dem Ölfund je reich gewesen wären, aber mit dem Perlentauchen konnten die Golfanrainer lange das Auslangen finden. Solange bis ab den 1930er-Jahren Perlen in großen Mengen künstlich gezüchtet werden konnten und die meisten Emirate am Golf vor dem totalen wirtschaftlichen Kollaps standen. Die Gründungsväter Katars waren also von der Erfahrung geprägt, dass die Quellen des Reichtums von heute auf morgen versiegen können.

Folglich wollten sie nicht noch einmal erleben müssen, wie eine Monokultur zusammenbricht. Deshalb investieren sie in alle möglichen Bereiche um für den Tag bereit zu sein, an dem es kein Gas mehr geben wird. 

Suche nach Reformmodell

Indirekt haben auch die saudisch-emiratischen Sanktionen damit etwas zu tun: Denn während in Katar wirtschafts- und finanzpolitisch noch alles glatt läuft, kommen in Saudi-Arabien langsam die Probleme jahrzehntelanger Misswirtschaft, die trotz – oder gerade wegen – des Ölreichtums blühte, ans Tageslicht. Deswegen sucht Saudi-Arabien unter seinem neuen defacto Herrscher, Kronprinz Mohammed bin Salman, nach einem langfristig tragbaren wirtschaftlichen und politischen Modell für die Zukunft nach dem Öl.

In der unmittelbaren Nachbarschaft bieten sich gleich zwei erfolgreiche Modelle an: Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate. Andreas Krieg sieht eine Konkurrenz der Ideologien: „Auf der einen Seite Katar: ein liberales Land, wenn es um Politik geht. Sie haben sich auch im Arabischen Frühling für Pluralismus eingesetzt, und wenn man in der arabischen Welt über Pluralismus redet, dann muss man auch den Islamismus erwähnen, weil Islamisten oft die Akteure sind, die in der arabischen Welt in der Opposition sind. Katar hat mit den Oppositionellen während des Arabischen Frühlings zusammengearbeitet – in der Hoffnung, die alten Regime zu stürzen.  Die Emirate auf der anderen Seite haben eine Aversion gegenüber nichtstaatlichen Akteuren jeglicher Form und vor allem gegenüber Dissidenten und Oppositionellen“, sagt Krieg.

Polizeistaat

Denn anders als im Westen oft dargestellt, sind die Vereinigten Arabischen Emirate nur oberflächlich offen und liberal. Es gibt keine Medien-, Meinungs – oder Versammlungsfreiheit. (siehe dazu: Dubai & Co: Vom Schein und Sein der Emirate) Krieg meint dazu: „Wenn man zum Beispiel den Human-Rights-Watch-Bericht liest, zeichnet sich darin klar das Bild eines Polizeistaates ab. Die Emirate glauben, dass ein sehr zentralisierter repressiver Staat mehr Stabilität bringt als ein pluralistischer Staat, in dem es mehrere Gruppierungen gibt, die versuchen, einen Konsens aufzubauen.“

Ganz ohne Repression will man freilich auch in Katar nicht regieren: 2012 wurde ein Dichter in Doha zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er die Herrscherfamilie beleidigte. 2005 wurden 5.000 Kataris wegen angeblicher Illoyalität die Staatsbürgerschaft entzogen. Harte Kritik an Katar sucht man im sonst sehr kritischen Sender Al-Jazeera ebenfalls vergeblich. Gerade in Bezug auf Katars jüngstes Großprojekt, der Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft. Bei der Errichtung der gigantischen Wettkampfstätten kam und kommt es zu regelmäßigen Menschenrechtsverstößen.

Saudi-Arabien hat sich unter dem neuen Kronprinzen offenbar klar für das Modell der Emirate entschieden

Mohammed bin Zayed
Der Mann im Hintergrund: Mohammed bin Zayed, Kronprinz Abu Dhabis (Foto:„170515-D-GO396-174“ von  Flickr/James N. Mattis ,Lizenz: (CC BY 2.0))

Dass der Konflikt dabei oft als einer zwischen Saudi-Arabien und Katar gesehen wird, greift indes zu kurz. Als treibende Kraft hinter der Sanktionspolitik gilt der Kronprinz Abu Dhabis, Mohammed bin Zayed. „Der saudische Kronprinz hat in den vergangenen Jahren eine sehr intime Beziehung zu Mohammed bin Zayed, dem Kronprinzen von Abu Dhabi, aufgebaut. Diese ganze Ideologie in den Emiraten ist von Mohammed bin Zayed auf Mohammed bin Salman übertragen worden, und der saudische Kronprinz hat das verinnerlicht. Er hat auch eins zu eins die Paranoia der Emirate übernommen, nämlich die Aversion gegen nichtstaatliche Akteure und jede Form von politischem Islam“, sagt Andreas Krieg.

Neben den unterschiedlichen Staats- und Wirtschaftsmodellen gibt unter den Emiraten am Golf auch ein lange schlummerndes Konkurrenzverhältnis. Sei es die Frage, wer die schönste Moschee, das größte Museum oder den höchsten Turm der Welt erbaut – Abu Dhabi, Dubai und Katar stehen in einem permanenten Wettbewerb. Auch in der Luft findet der Wettstreit mit Qatar Airways (Katar), Etihad Airlines (Abu Dhabi) und Emirates Airlines (Dubai) statt.

Katars Museum der Islamischen Kunst
Größer, besser, teurer: Unter den Emiraten ist ein regelrechter Wettstreit ausgebrochen wer das bessere Museum, Wolkenkratzer oder Moschee bauen kann. Im Bild: Katars Museum der Islamischen Kunst (Foto: „Museum of Islamic Art, Doha, Qatar | 120930-3311-jikatu“ von Flickr/Jimmy Baikovicius, Lizenz:  (CC BY-SA 2.0))

Ein Ende der angespannten Situation ist nicht in Sicht. Auch wenn eine militärische Eskalation als ausgeschlossen gilt: „Auf der Seite der Emirate gab es natürlich Überlegungen und Szenarien, dass man militärisch gegen Katar vorgeht“, sagt Krieg, um aber gleich einzuschränken: „Mittlerweile ist die militärische Option nicht mehr auf dem Tisch.“

Das liegt vor allem an der massiven US-Militärpräsenz in Katar. Die Vereinigten Staaten haben in dem Land einen ihrer größten Überseestützpunkte errichtet, die auch die Basis für die Angriffe gegen den Irak 2003 war. 

al-Udaid-Basis in Katar
Gast und Schutzmacht: Die US-Luftwaffenbasis al-Udeid in Katar. (U.S. Air Force photo/Staff Sgt. Angelita Lawrence)

Übrig bleibt eine festgefahrene Situation. Derzeit können beide Seiten mit dem Status quo leben, die ideologischen Differenzen werden bleiben. In Doha ist man wirklich gekränkt von der Art und Weise, wie das passiert ist“ , sagt Krieg. „Ich glaube nicht, dass es da wirklich zu einer Resolution des Konflikts kommt“.

Autor: Stefan Binder.
Veröffentlicht am 10.2.2017.
Titelbild: „qatar cityscape2“ von Flickr/Ding Digital Photography ,Lizenz: (CC BY 2.0) 

Leseliste:
derStandard.at: „Natürlich gab es Überlegungen, militärisch gegen Katar vorzugehen“
BinDerStefan.at: Dubai & Co: Vom Schein und Sein der Emirate
Reuters: Jailed Qatari poet released after royal pardon: family member

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