Titelbild:“Iraq’s Fallujah after Liberation“ by Mahmoud Hosseini, Lizenz:(CC-BY 4.0)
Seit 2014 haben sich im Irak schiitische Milizen gebildet, um sich gegen den Vormarsch des IS zu wehren. Bei der Befreiung Mossuls sind sie an vorderster Front dabei sein
Eine dunkle, zähe Masse nimmt ihren Weg durch die Stadt al-Qarraya im nördlichen Irak. Es ist das letzte dunkle Vermächtnis, das die Kämpfer des „Islamischen Staats“ dort hinterlassen haben. Ende August wurden die sunnitischen Extremisten aus der Stadt 60 Kilometer südlich ihrer Hochburg Mossul vertrieben. Als Rache haben sie die Straßen mit Öl geflutet.
Die Befreier aus den Reihen der irakischen Streitkräfte haben das nächste Kapitel bereits vor Augen: Mossul – die inoffizielle Hauptstadt des IS im Nordirak, analog zu Raqqa in Syrien. Doch die Uhr tickt. Bis Ende des Jahres wolle man die Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt vom IS befreien, kündigte der irakische Regierungschef Haider al-Abadi im August an. Dabei sein bei der Befreiung wollen auch die Kämpfer der Hashd al-Shaabi, der schiitisch dominierten Bewegung der „Volksmobilmachung“.
Im Kampf gegen den IS bewährt
Entstanden ist dieser Dachverband schiititscher Milizen unter dem Eindruck und Schock des unaufhaltbaren Vorstoßes des „Islamischen Staats“ auf irakisches Gebiet im Jahr 2014. Bei ihrem Vormarsch verübten die Islamisten zahlreiche Massaker an Schiiten im Irak, die Streitkräfte des Landes waren wie paralysiert und überfordert bei der Abwehr der sunnitischen Extremisten.
Seit der Gründung der „Volksmobilmachung“ und dem Aufruf schiitischer Geistlicher im Irak, sich dem Kampf gegen den IS anzuschließen, sind Einheiten der Hashd al-Shaabi gegen den IS bei den für die Schiiten so wichtigen Schreinen in Kerbala, Najaf und Samarra und an der Seite der irakischen Sicherheitskräfte im Großraum Bagdad im Einsatz. Verglichen mit den nicht immer effektiven staatlichen Streitkräften haben sich die Kämpfer der Hashd al-Shaabi im Kampf gegen den IS oft bewährt. Diesen betrachten sie als Glaubenskrieg, als schiitischen Jihad. Angetrieben vom Kampf zweier religiöser Doktrinen haben sie sich als eifrige und opferbereite Gotteskrieger gegen den IS herausgestellt. Ihre genaue Zahl ist nicht bekannt, Schätzungen gehen von mehr als hunderttausend Kämpfern aus.
Konflikt um Geld und Macht
Der Eindruck, dass es sich bei Hashd al-Shaabi um einen einheitlichen Kampfverband handelt, täuscht jedoch. Gemeinsam ist den dutzenden schiitischen Milizen der „Volksmobilmachung“ lediglich, dass sie die sunnitischen IS-Extremisten als Feind und Bedrohung der irakischen Schia ansehen. Da hat es sich dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten.
Bei den Streitigkeiten geht es um Macht, unterschiedliche ideologische Ausrichtungen, politische Gefälligkeiten und vor allem um den Einfluss des Iran. Darüber hinaus wird um Geld aus staatlichen Töpfen gekämpft, aus denen viele Kämpfer bezahlt werden.
Probleme
Viele der Kämpfer wollen bei der Schlacht um Mossul dabei sein. Bagdad zögert – nicht zuletzt wegen Drucks aus Washington. An der Befreiung Ramadis durften die schiitischen Milizen beispielsweise nicht teilnehmen – aus Angst, es könnte erneut zu konfessionellen Übergriffen auf die sunnitische Mehrheit vor Ort kommen, wie es vergangenes Jahr bereits in Tikrit der Fall war. Geholfen hat das nichts: Mindestens 66 Sunniten wurden nach der Übernahme Ramadis durch schiitische Milizen ermordet, viele mehr wurden misshandelt.
Fraglich ist auch, ob die mehrheitlich sunnitische Bevölkerung Mossuls überhaupt von schiitischen Milizen befreit werden will. In einer Studie, die Anfang des Jahres von dem irakischen Institut IIACSS telefonisch unter 120 Bewohnern der vom IS besetzten Metropole durchgeführt wurde, erklärten 74 Prozent, dass sie nicht ausschließlich von der schiitisch dominierten Armee befreit werden wollen. Von schiitischen Milizen oder Kurden wollten sogar alle 120 Befragten nicht befreit werden.
„Wir werden definitiv teilnehmen“
Iraks Sunniten sitzen zwischen den Stühlen: Viele lehnen einerseits den „Islamischen Staat“ ab. Gleichzeitig fürchten sich aber viele vor den vermeintlichen Befreiern – schiitisch dominierten Einheiten der Sicherheitskräfte und schiitischen Milizen. Die zeigen sich davon unbeeindruckt: Hadi Amira, Anführer der Badr-Organisation, einer proiranischen Miliz, sagte angesprochen auf den Kampf um Mossul: „Wir werden definitiv daran teilnehmen.“
Grob eingeteilt besteht die „Volksmobilmachung“ aus folgenden Gruppen:
Proiranische Millizen
Die Badr-Organisation, angeführt von Hadi al-Amiri, ist mit mindestens 20.000 Kämpfern die größte unter den proiranischen Milizen. Darüber hinaus folgen die Asaib Ahl al-Haq, Saraya al-Khorasani, Harakat al-Nujaba und die Kataib Hezbollah, die von den USA als Terrororganisation eingestuft wird, der iranischen Staatsdoktrin Walayat al-faqih. Die proiranischen Milizen erhalten Waffen, Geheimdienstinformationen und Ausbildung vom Iran. Deswegen gelten sie auch als die effektivsten unter allen schiitischen Milizen im Kampf gegen den IS.
Pro-Sistani-Milizen
Die Hashd al-Sistani (Pro-Sistani-Milizen) bestehen unter anderem aus Liwa Ali al-Akbar, Furqat al-Abbas al-Qitaliyah und Furqat Imam Ali al-Qitaliyah und stehen Premierminister Abadi nahe. Die genaue Anzahl der Kämpfer ist auch bei den Pro-Sistani-Milizen nicht bekannt. Schätzungen gehen davon aus, dass die Mannstärke nicht an jene der proiranischen Milizen heranreicht. Die meisten Kämpfer folgten einem Aufruf in Großayatollah Ali al-Sistanis Fatwa, sich dem Kampf gegen den IS anzuschließen. Die Einheiten Furqat Imam Ali al-Qitaliyah und Liwa Ali al-Akbar haben auch einen vergleichsweise hohen Anteil an Sunniten in ihren Reihen.
Milizen von Ammar al-Hakim
Die dritte Gruppe besteht aus einer Vielzahl an unterschiedlichen Gruppen, die dem schiitischen Kleriker Ammar al-Hakim (Islamic Supreme Council of Iraq) gegenüber loyal sind. Dazu gehören Saraya Ansar al-Aqidah, Saraya al-Jihad, Liwa al-Muntazir und Saraya Ashura.
Miliz von Muqtada al-Sadr
Milizen des schiitischen Klerikers Muqtada al-Sadr, allen voran die Saraya al-Salam. Der Anführer der Saraya al-Salam hat angekündigt, Anordnungen der irakischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen den IS Folge leisten zu wollen.