Anschläge auf Hazara: Schiiten-Jagd in Pakistan

In Belutschistan werden Schiiten auf offener Straße erschossen oder bei Bombenattentaten getötet. Erst am Wochenende kamen mehr als 80 Menschen bei einem Anschlag sunnitischer Extremisten ums Leben.

Video: Dokumentation von Asef Ali Mohammed über Geschichte und Schicksal der Hazara im pakistanischen Quetta. (Aufgezeichnet im Juli 2011)

Eingebettet in mehreren Tälern der pakistanischen Provinz Belutschistan liegt die Stadt Quetta nahe der afghanischen Grenze. Auf 1680 Metern gelegen, gilt die 900.000-Einwohner-Metropole als dritt-wichtigste Stadt Pakistans. Und als eine der gefährlichsten – vor allem für Schiiten. Fast 200 Menschen mussten das am Wochenende am eigenen Leib erfahren – mehr als 80 von ihnen starben bei einem Autobombenanschlag sunnitischer Extremisten, mehr als 100 wurden verletzt. Das Ziel der religiös-motivierten Attentäter waren erneut Mitglieder der Volksgruppe der Hazara.

Die persisch-sprechende schiitische Minderheit emigrierte in den 1920er und 1970ern aus Afghanistan nach Pakistan. Heute leben in Quetta schätzungsweise 600.000 Hazara. Seit mehr als einem Jahr ist die Minderheit vom Anstieg anti-schiitischer Attentate durch sunnitische Extremisten am stärksten betroffen. Durch ihr mongolisches Aussehen sind die Hazara ein besonders leichtes Ziel des offen gezeigten Schiiten-Hasses, der in Pakistan bis in die 1980er Jahre zurückreicht.

Saudische Geldgeber

Seit 2002 – nachdem  US-Streitkräfte die Taliban von der Macht in Afghanistan vertrieben – breiten sich sunnitische Extremisten in der pakistanischen Grenzprovinz Belutschistan kontinuierlich aus. Bombenanschläge und Schussattentate auf offener Straße sind seither blutiger Alltag in Städten wie Quetta. Seit 2008 kamen laut Provinzbehörden mindestens 758 Schiiten durch konfessionelle Gewalt ums Leben. Eine Zahl, die die Hazara in Zweifel ziehen – allein 2012 wurden knapp 400 Schiiten in Pakistan Opfer von Attentaten.

Viele der militanten Gruppen in Pakistan wurden in den 1970er Jahren gegründet – zu einer Zeit als im schiitischen Nachbarland Iran gerade die Islamische Revolution ihren Höhepunkt erreichte. Laut einer von Wikileaks veröffentlichten Depesche von Ex-US-Außenministerin Hillary Clinton im Dezember 2009 werden viele der militanten Organisation in Pakistan von saudi-arabischen Geldgebern finanziert.

Zu dem Anschlag am Wochenende bekannten sich die Mitglieder der Lashkar-e-Jhangvi (LeJ), die als die brutalsten unter den sunnitischen Extremisten Pakistans gelten. Benannt hat sich die 1996 gegründete Gruppe nach dem Kleriker Haq Nawaz Jhangvi, der die anti-schiitische Kampagne in Pakistan als Reaktion auf die (schiitische) Islamische Revolution im Iran vor mehr als 30 Jahren begann. Jhangvi gründete zunächst in den 1980ern die Sipah-e-Sahaba Pakistan (SSP), die bis in die 1990er Jahren mit Gewalt gegen Schiiten für Angst und Schrecken unter religiösen Minderheiten in Pakistan sorgte.

„Sipah-e-Sahaba“ bedeutet wörtlich „Soldaten der Gefährten“ – eine Referenz auf die Ursache der Spaltung zwischen Schiiten und Sunniten vor mehr als 1300 Jahren, bei der es im Kern um die Frage geht, welcher Gefährte Mohammeds die Nachfolge des Propheten antreten darf.

Regierung sieht hilflos zu

Als sich in der SSP Stimmen mehrten, die Gewalt zu beenden, spalteten sich 1996 Extremisten mit der Lashkar-e-Jhangvi ab. Der Gründer der SSP und Namensgeber für die Lashkar-e-Jhangvi, Haq Nawaz Jhangvi, konnte all das nicht mehr miterleben. Er wurde 1990 bei einem Gegenangriff schiitischer Extremisten getötet. Seither nimmt das Blutvergießen kein Ende.

Die Regierung sieht dem Gemetzel hilflos zu. Einerseits kämpft Islamabad in der Unruheprovinz gegen andere militante Gruppen wie Mitglieder der berüchtigten Quetta Schura (in Quetta gegründete Organisation der afghanischen Taliban), andererseits gegen die Unabhängigkeitsbewegungen in Belutschistan.

Doch ob der pakistanische Staat – allen voran das Militär – gegen die Extremisten überhaupt ernsthaft vorgehen will, ist zumindest fraglich. Die Gruppe Lashkar-e-Jhangvi ist verboten, doch ihr Führer Malik Ishaq ist auf freien Fuß, nachdem seine Anhänger gegen seine Verhaftung 2011 demonstrierten. Zwar betonen die Behörden, dass sie die sunnitischen Extremisten bekämpfen, doch es besteht zumindest beim Militär ein ambivalentes Verhältnis zu den Extremisten. Viele der Gruppen, die heute für Anschläge und Attentate in Pakistan verantwortlich sind, wurden noch in den 1990er Jahren vom pakistanischen Geheimdienst gefördert und unterstützt. Die in der Regel gut ausgebildeten und kampferfahrenen Extremisten galten lange Zeit als eiserne Reserve Pakistans für die Konflikte in Afghanistan und vor allem Kaschmir.

Doch auch Pakistans Politiker zögern: In der Provinz Punjab, die als Brutstätte des sunnitischen Extremismus gilt, haben Gruppen wie Lashkar-e-Jhangvi und Sipah-e-Sabaha neben Kämpfern auch Wähler, die für fast alle Parteien bei den Parlamentswahlen interessant sind. Ein scharfes Vorgehen gegen diese Gruppen könnte der regierenden Partei schaden – vor allem vor Wahlen. Pakistan wählt im Mai ein neues Parlament.

Autor: Stefan Binder

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