Titelbild:„egypt_0109“ von Nicholas Brown, Lizenz: (CC BY 2.0)
Der Sinai wird von einer Welle der Gewalt heimgesucht. Dahinter stecken immer mehr jihadistische Gruppen, die teilweise untereinander verfeindet sind. Überblick über die wichtigsten radikal-islamischen Gruppen in Ägypten.
Verdeckte Israelische Angriffe, zahllose tote ägyptische Soldaten und Sicherheitskräfte durch islamistische Attentate und trotzdem kein Ende in Sicht: Auf dem Sinai tobt der Krieg.
Auf der ägyptischen Halbinsel haben zahlreiche radikal-islamische Gruppierung einen fruchtbaren Nährboden gefunden. Am bekanntesten und gefürchteten ist der ägyptische Ableger des “Islamischen Staates” (IS). Doch die Situation ist weitaus verworrener. Im Sinai tummeln sich eine ganze Reihe von Gruppen, die teilweise untereinander verfeindet sind.
Eine Zusammenfassung der wichtigsten jihadistischen Organisationen im Sinai und in Ägypten, um den Überblick zu wahren:
„Sinai-Provinz“/“Islamischer Staat“ im Sinai
ولاية سيناء
Entstanden ist die Gruppe aus der „Ansar Beit al-Maqdis“ („Unterstützer Jerusalems), die erstmals im September 2011 auf der Jihadisten-Landkarte Ägyptens auftauchte. Sie galt als Gruppe mit engen Verbindungen zur Al-Kaida bis die „Ansar Beit al-Maqdis“ Anführer im November 2014 dem Kalifen des IS Loyalität schworen und die „Ansar Beit al-Maqdis“ offiziell zum ägyptischen Ableger der syrisch-irakischen Extremisten wurde.
Nicht alle Mitglieder der „Ansar Beit al-Maqdis“ waren damit zufrieden. Mehrere führende Kader verließen die Organisation oder gründeten eigene Gruppen, die heute teilweise in Konkurrenz zur “Sinai Provinz” des IS stehen.
Der brutalen und rücksichtslosen Ideologie des IS bleibt man auch in Ägypten treu: Christen und Sufis werden auch in der Propaganda der “Wilaya(t) Sinai” als Hauptfeinde identifiziert. Mehrere Anschläge auf Kirchen im ganzen Land untermauern das. Sufis werden als Häretiker gebrandmarkt und einige im Sinai als “Hexer” enthauptet. Als der IS in Syrien und Irak begann mehr und mehr Territorium zu verlieren, intensivierten die ägyptischen Jihadisten ihre Anstrengungen und überzog weite Teile des Landes mit einer Attentatswelle.
Jund al-Islam („Armee des Islam“)
جند الإسلام
Erstmals tauchte die „Armee des Islam“ 2012 auf. Einer breiteren ägyptischen Öffentlichkeit geläufig wurde sie im September 2013, nachdem sie sich zu einem Anschlag auf das Sinai-Hauptquartier des ägyptischen Militärnachrichtendienst in Rafah bekannte. Seit 2015 intensivierten sich die Propagandaaktivitäten der Gruppe. Auch Raketenangriffe gegen Israel sollen auf das Konto der Extremisten gehen.
Das markanteste Kennzeichen der „Jund al-Islam“ ist ihre Gegnerschaft zum IS. Im November 2017 bekannte sie sich zu einem Anschlag auf IS-Mitglieder im Sinai und schwor den IS für “Verbrechen gegen unschuldige Muslime” zu zerstören.
„Jund al-Islam“ betont in seinen Botschaften immer wieder, dass sie nicht “unschuldige Muslime” zum Ziel hat. Das und die deutliche Feindschaft zu IS, legen eine Verbindung zur Al-Kaida nahe. Zur Erinnerung: Al-Kaida-Chef Ayman az-Zawhiri betonte in internen Befehlsausgaben wie auch öffentlichen Propagandaauftritten immer, wie wichtig es für die globale jihadistische Bewegung sei, auf die lokale muslimische Bevölkerung Rücksicht zu nehmen. (mehr dazu in: Al-Kaida – Bin Ladens vergessene Gotteskrieger)
Al-Murabitun
المرابطون
Die „al-Murabitun“ ist eine weitere Gruppe, die nach der Spaltung der „Ansar Beit al-Maqdis“ entstanden ist. Die Gruppe ist eng mit Namen ihres Anführers verknüpft: Der ehemalige ägyptische Armeeoffizier Hisham al-Ashmawi, auch Abu Omar al-Muhajir genannt, ist einer der meistgesuchte Islamisten Ägyptens. Er war ein wichtiges Mitglied bei Ansar Beit al-Maqdis, bevor es zur Spaltung kam und sich Ansar Beit al-Maqdis dem IS anschloss. Offenbar als Reaktion darauf gründet al-Ashmawi und seine Getreuen die „al-Murabitun“.
Ideologisch ist die Gruppe der Al-Kaida zuzuordnen.
Update vom 20.10.2018: Hisham al-Ashmawi wurde in Libyen gefasst
Ansar al-Islam („Unterstützer des Islam“)
أنصار الإسلام
Namensgleich mit der Gruppe im Irak, hat die ägyptische Ansar al-Islam nichts mit ihr zu tun. Erstmals aufgetaucht sind die „Unterstützer des Islam“ am 3. November 2017, als sie die Verantwortung für einen Anschlag in Ägyptens westlicher Wüste übernahm. Bei dem Angriff kamen mehr als 50 ägyptische Sicherheitskräfte ums Leben, laut „Ansar al-Islam“ nur der „Beginn unseres Jihads”.
Ihre Online-Aktivitäten (Nachrichten der Gruppe wurden in einem Telegram-Kanal, der sonst nur für sl-Kaida-Botschaften verwendet wurde) lassen auf eine Verbindung mit der al-Kaida schließen. Auch ein verstorbener Anführer der Gruppe, Emad Abdel-Hamid, war früher Mitglied bei „al-Murabitun“, was ebenfalls eine Verbindung zur al-Kaida nahelegt.
Ajnad Misr („Soldaten Ägyptens“)
اجناد مصر
Erstmals im Jänner 2014 aufgetaucht, verübten die “Soldaten Ägyptens” im Sommer 2017 Anschläge in Kairo. Der Gründer der Gruppe, Hamam Mohammed, soll Mitglied der „Ansar Beit al-Maqdis“ gewesen sein, bis sich diese Gruppe dem IS anschloss. Die Vermutung liegt nahe, dass die Ajnad in Verbindung mit der al-Kaida steht, da die jementischen und nordafikanischen al-Kaida-Ableger Eulogien auf den inzwischen getöteten Ajnad-Anführer veröffentlicht haben. Dafür spricht auch, dass die Gruppe ihre Angriffe mit „Ansar Beit al-Maqdis“ koordinierte, bevor letztere die Seiten wechselte und Teil des “Islamischen Staates” wurde.
Auch ideologisch spricht einiges für eine Al-Kaida-Verbindung: Die Gruppe betont immer wieder, dass es versucht zivile Opfer bei Attentaten vermeiden zu wollen – genau wie dies Al-Kaida-Chef Ayman az-Zawahiri als Leitlinie ausgegeben hatte. (siehe: Al-Kaida – Bin Ladens vergessene Gotteskrieger)
Dass von der Gruppe nicht mehr viel zu hören ist, liegt auch daran, dass offenbar ein Gutteil der Mitglieder inzwischen in ägyptischen Gefängnissen sitzt.
Hasm – Harakat Sawaid Misr („Bewegung der Arme Ägyptens“)
حركة سواعد مصر
Erste Social-Media-Aktivitäten der „Hasm“ waren Anfang 2015 festzustellen. Der erste Offline-Auftritt fand im Juli 2016 statt, als sich die Extremisten zu einem Anschlagsversuch auf den Chefermittler der Polizeistation in Tamiya bekannte.Wenig später, im August 2016, reklamierte die Gruppe einen Anschlagsversuch auf Ali Gomaa, Ägyptens ehemaligen Großmufti, für sich. Wer tatsächlich hinter den Anschlägen steckte, konnte jedoch nie gänzlich geklärt werden.
Die ägyptischen Behörden bezichtigen die „Hasm“ in Verbindung mit den Muslimbrüder zu stehen. Die Muslimbrüder sind in Ägypten als Terrororganisation eingestuft und verboten.
Das erste bekannte Propagandavideo wurde im Jänner 2017 veröffentlicht, es zeigte Trainingscamps der Gruppe und prahlte mit Angriffen auf Einrichtungen ägyptischer Behörden. Im Oktober 2017 behauptete die Gruppe, ein Sprengstoffpaket an der Botschaft von Myanmar aus Solidarität mit den verfolgten Muslimen in dem asiatischen Land, angebracht zu haben.
Liwa ath-Thawra („Revolutionsbrigade“)
لواء الثورة
Die Gruppe tauchte kurz nach der Gründung der „Hasm“ auf, als sie im August 2016 einen Anschlag auf zwei Polizisten in Sadat City verübte. Außerdem bekannte sie sich zu einem Attentat auf einen Brigadegeneral im Oktober desselben Jahres.
Genauso wie die „Hasm“ wird auch der „Liwa ath-Thawra“ eine Verbindung zu den Muslimbrüdern unterstellt, belegt ist dies allerdings nicht.
Autor: Stefan Binder.
Veröffentlicht am 21.2.2017.