Als mit „Game of Thrones“ der Serienwinter nach Nordirland kam

Die Erfolgsserie „Game of Thrones“ hat Nordirland einen atemberaubenden Tourismusboom beschert. Doch am 14. April beginnt die letzte Staffel der HBO-Serie, und der Brexit steht vor der Tür. Ein Lokalaugenschein.

Das Opfer legt seinen Kopf aufs Schafott, der Scharfrichter spricht, bevor er das Schwert schwingt: „Hiermit verurteile ich dich zum Tode!“ Das Schwert ist jedoch aus Plastik, und die Zuschauer lachen laut. Es sind Chinesen, Philippiner, Deutsche oder Australier, die hier in Castle Ward eine berühmte Szene aus der Hitserie „Game of Thrones“ nachstellen.

Game of Thrones-Spiele in Castle Ward
Hinrichtungsszenen aus der Hitserie können in Castle Ward nachgespielt werden. Die Waffen sind aus Plastik, die Kostüme tragen noch Orginal-HBO-Etiketten. Foto: northern ireland tourism

Die nordirische Schlossanlage aus dem 16. Jahrhundert war Drehort für Winterfell, die Burg einer der zahlreichen untereinander verfeindeten Adelsfamilien der Serie. Seit die Sendung zum weltweiten Zuschauerhit wurde, wirft sich James McKay jedes Mal in Schale, wenn er seinen Arbeitsplatz aufsucht.

James McKay macht Game of Thrones-Touren
Stilecht: James McKay führt Touristen durch Castle Ward und zeigt ihnen die Drehorte von „Game of Thrones“. Manchmal holt er in dem Outfit auch Gruppen vom Flughafen ab – allerdings ohne Schwert. Foto: jnnetwork/pool

Der stattliche Nordire trägt einen schwarzen Lederharnisch und einen Schwertgürtel, wenn er durch Castle Ward führt. Man sieht es ihm auf den ersten Blick nicht an, aber er ist Direktor bei Peak Discovery, einer irischen Firma, die sich auf Führungen und Touren spezialisiert hat.

Sie hat das 332 Hektar große Areal vom Nationalfonds gepachtet. Obwohl das Schloss im äußersten Osten Nordirlands etwas abseits vom Schuss liegt, ist der Besucheransturm so groß, dass die Angestellten hier inzwischen im Schichtbetrieb arbeiten: Geführte Touren gibt es um 10 Uhr, um 1 Uhr und um 15 Uhr – jeden Tag. Die Touristen können sich wie Ritter fühlen, verkleiden sich in Originalkostümen, sehen die Originalschauplätze der Serie und lernen Bogenschießen. Seit diesem Jahr bietet man auch Axtwerfen an, berichtet McKay nicht ohne Stolz.

26 Drehorte

Castle Ward ist nur einer von 26 Drehorten, die der Sender HBO für „Game of Thrones“ in Nordirland verwendet hat und die nun vom Erfolg der Serie profitieren. Das Land erlebt einen Tourismusboom. Inzwischen kann man mit einem eigenen „Game of Thrones“-Pass durch alle Ecken Nordirlands reisen, eine App hilft beim Auffinden der wichtigsten Locations.

Die Serie ist überall präsent. „Als vor zehn Jahren die Produktion in Nordirland begann, konnte sich hier niemand auch nur im Entferntesten vorstellen, was das für das Land bedeuten würde“, sagt Nicole Stevenson vom nordirischen Tourismusbüro im obersten Stock des Ulster-Museums im Herzen der Hauptstadt Belfast. Neben Überresten der spanischen Armada, geologischen und archäologischen Fundstücken wird hier ein 80 Meter langer handgestickter Wandteppich ausgestellt. Er zeigt die wichtigsten Szenen der TV-Serie – eine freche Anspielung auf den Teppich von Bayeux aus dem 11. Jahrhundert. Vergangenes Jahr haben rund 100.000 Menschen die Sonderausstellung besucht.

Ein Game of Thrones Wandteppich
Im Ulster-Museum in Belfast wird ein 80 Meter langer handgestickter Wandteppich ausgestellt, der die wichtigsten Szenen von „Game of Thrones“ erklärt. Foto: Northern Ireland Tourism

In den vergangenen zehn Jahren hat alleine die Filmproduktion von HBO 210 Millionen Pfund (rund 250 Millionen Euro) ins Land gespült, schätzt man bei Northern Ireland Tourism. Dann kamen die Touristen. Wie viel Geld sie im Land lassen, kann man noch gar nicht abschätzen, es dürfte sich jedoch um ein Vielfaches der Filmproduktion handeln. Eine Studie über die ökonomischen Auswirkungen von „Game of Thrones“ wurde erst in Auftrag gegeben.

Tranformation

„Die Serie hat die Tourismusindustrie verwandelt“, erzählt Stevenson sichtlich begeistert. Nicht nur, dass Touristen aus aller Herren Länder in großer Zahl nach Nordirland reisen – sie machen das in allen vier Jahreszeiten: „Im Februar haben wir hier furchtbaren Wind und schreckliches Wetter, und trotzdem strömen Menschen nach Nordirland.“

Sie besuchen Filmlocations, buchen Hubschrauberflüge oder Erlebnisdinners. Für Sportliche gibt es Radtouren und Routen für Rucksacktouristen. Manch Romantiker hat sogar sein Hochzeitsfest auf der Insel im Game-of-Thrones-Stil ausrichten lassen. Die Serie hat auch eine völlig neue demografische Gruppe – nämlich 18- bis 25-Jährige – für das Land begeistert.

Besucherzahlen „explodiert“

Die Gegend um Castle Ward galt dabei bisher als eher vergessener Teil Nordirlands. Touristen verirrten sich selten hierher. „Mit dem Beginn von ‚Game of Thrones‘ sind die Besucherzahlen explodiert“, erklärt McKay, während er Besucher in Orginalkostüme der Serie kleidet. Vor 15 Jahren bot seine Firma zunächst Teambuilding-Abende für Unternehmen an, nach der Finanzkrise 2008 sattelte man auf Abenteuertourismus um. Dann kam „Game of Thrones“. Teile der ersten drei Staffeln wurden hier gedreht, schließlich wurde aber selbst HBO der Hype zu groß. Inzwischen dreht der US-TV-Riese an geheim gehaltenen Orten.

Nicht nur Touranbieter haben davon profitiert, sagt McKay: „Die Menschen gehen in Restaurants, buchen Taxis, übernachten hier. Es gab einen großen Zuwachs an Arbeitsplätzen in der Region.“ Damit einher ging ein atemberaubender Boom an hochwertigen Hotelbauten in Belfast.

Castle Ward
Die eher verschlafene Gegend rund um Castle Ward erlebt einen Touristenansturm. Foto: Stefan Binder

Mit dem Beginn der achten Staffel der Hitserie am 14. April ziehen sich allerdings dunkle Wolken über Nordirland zusammen. Denn es ist der Anfang vom Ende von „Game of Thrones“, die Serie endet dieses Jahr. Damit nicht genug, ist Nordirland und seine Grenze mit der Republik Irland der Zankapfel bei den Brexit-Verhandlungen.

Ernsthafte Sorgen macht das jedoch wenigen. „Was unser Produkt hier betrifft, glauben wir, dass, sobald die Serie endet, wir noch mindestens zehn Jahre davon profitieren können“, zeigt sich McKay unbesorgt. Schließlich handelt es sich bei „Game of Thrones“ um die größte TV-Show, die je produziert wurde. Dieses Jahr dürfte durch den Hype sogar das beste in der Geschichte von Castle Ward werden.

Beim nordirischen Tourismusverband verweist man auf das Beispiel Neuseeland. Dort sind auch mehr als 15 Jahre nach dem Ende der Filmtrilogie „Herr der Ringe“ die Filmschauplätze noch immer die meistbesuchte Touristenattraktion des Landes. Auch die aktuellen Buchungszahlen sprechen dafür, dass es in Nordirland keinen Abschwung gibt. Tourveranstalter planen in der Regel schon zwei Jahre voraus, das Interesse nehme jedoch nicht ab.

Selbstbewusst ist man hier auch deswegen, weil der Erfolg von „Game of Thrones“ die Filmproduktionsinfrastruktur beflügelt hat. Die vielfältige Landschaft und die beschränkte Größe Nordirlands haben sich als unschlagbarer Vorteil herausgestellt.

Know-How

„Bei Staffel eins haben die Filmleute viele ihrer eigenen Leute hergebracht: Für den Setaufbau, die Computeranimation – die kamen alle von Übersee“, plaudert McKay vor einer kitschigen Burgruine aus dem Nähkästchen. Er war während der ganzen Zeit der Dreharbeiten auch in Castle Ward tätig. „Jetzt wird das alles von Firmen hier in Nordirland gemacht.“ Die Filmindustrie entwickelt sich vor allem in Belfast rasant. Dieses Know-how wiederum zieht neue Filmproduktionen an: Die Serie „Krypton“, eine Fortsetzung der Superman-Saga, wurde ebenso in Nordirland gedreht wie der Film „Normal People“ mit Liam Neeson in der Hauptrolle.

„Vermächtnisprojekt“

Gefahr droht den zahlreichen Erfolgsstorys ausgerechnet von HBO. Bisher bedienten vor allem innovative lokale Anbieter den Touristenansturm. Die Ideen, den Erfolg der Serie für die Region zu nutzen, Touren zu entwickeln und anzubieten, kamen von ihnen. HBO selbst hat sich bisher herausgehalten. Der Sender hat jedoch Ende vergangenen Jahres ein „Vermächtnisprojekt“ für Nordirland angekündigt. Ein 10.000 Quadratmeter großes „interaktives Erlebnis“ soll bis Herbst 2020 in Nordirland aus dem Boden gestampft werden.

„Das könnte schon Auswirkungen auf uns haben. Wenn HBO sein ganzes Gewicht hinter so ein Projekt stellt und mit all seinem Geld eine große Besucherattraktion hinstellt, kann uns das als private Firma negativ beeinflussen“, sagt McKay.

Im Zweifel müsse man sich in Castle Ward was Neues einfallen lassen, meint McKay. Foto: Stefan Binder

Wirklich erschüttern kann ihn das aber nicht. Schon bisher verlangten manche amerikanische Firmen, dass bei den Themenabenden, die er anbietet, von „Game of Thrones“ keine Rede ist. Zu heikel sei die Serie mit ihren zahlreichen Sex- und Gewaltszenen für manche große Firmen. Im Zweifel müsse man sich einfach was Neues einfallen lassen. Das letzte Urteil ist also noch nicht gesprochen.

Autor: Stefan Binder aus Castle Ward.
Veröffentlicht am 14.10.2019.
Die Reise nach Nordirland, in deren Rahmen die Reportage entstand, erfolgte mit finanzieller Unterstützung von Johanna-Quandt-Stiftung, Tourism Ireland / Tourism Northern Ireland und Scalable Capital.

Weiterführende Links:
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