Wiener Hilfe für das neue Kalifat

Ein junger Wiener ist aufgebrochen, um sich dem neu gegründeten Islamischen Kalifat anzuschließen. Drei Minderjährige aus Österreich wurden indes von den Behörden bereits an ihrer Reise ins Kriegsgebiet gehindert.

Kämpfer des Islamischen Staates paradieren mit ihrer Beute aus dem Irak in der syrischen Stadt Raqqa. Ein junger Wiener war Zuseher.

Ende Juni in der syrischen Stadt Raqqa: Eben erst hat die militante sunnitische Gruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) das Kalifat ausgerufen. Nun schwören Anhänger der radikalen Islamisten im Osten Syriens dem selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi ihre Treue. Mit dabei: ein junger Mann aus Österreich.

Auch wenige Tage später ist der 19-jährige Wiener mit tunesischen Wurzeln dabei, als die Kämpfer des Islamischen Staates (IS) eine Gebetsstätte der bei sunnitischen Extremisten verhassten Schiiten zerstören: „Alles, was auf eine Schia-Existenz hier im Islamischen Staat hinweist, wird zerstört“, verkündet er auf Deutsch in einem Video.

Die Person zur Stimme ist kein Unbekannter. Schon als 16-Jähriger engagierte er sich bei einer umstrittenen Koran-Verteilaktion in Wien, beim Protest gegen den Mohammed-Schmähfilm im September 2012 vor der Wiener US-Botschaft war er einer der Wortführer. Irgendwann in den vergangenen Monaten ist er schließlich aufgebrochen, um in Syrien in den Jihad zu ziehen. Dorthin gelangen die meisten nach Erkenntnissen der Ermittler über die Türkei, zum konkreten Fall will man sich im Innenministerium mit Hinweis auf laufende Ermittlungen allerdings nicht äußern.

Nun lebt der 19-Jährige nach eigenen Angaben im neu gegründeten Islamischen Staat in Raqqa und versorgt seine Anhänger mit Nachrichten und Videos: vom Verbrennen von Zigaretten durch die Extremisten bis hin zum Leben mit anderen deutschsprachigen Jihadisten in Raqqa – die Botschaften nehmen dabei manchmal unfreiwillig komische Züge an.

Auffälliger Prediger

Mit seiner Reise in den „Kampf gegen Ungläubige“ ist er nicht allein: Mehr als 100 Personen sind aus Österreich mittlerweile nach Syrien gereist. Die Gruppe der Ausreisewilligen sei sehr heterogen, heißt es aus Behördenkreisen. Rund die Hälfte aller Betroffenen haben tschetschenischen Hintergrund, aber auch Personen mit bosnischen, kurdischen und türkischen Wurzeln seien dabei. Auch die Gründe dafür, in den Jihad zu ziehen, sind für viele Jugendliche aus Österreich unterschiedlich. Den Behörden sind sowohl Fälle von Selbstradikalisierung bekannt als auch Hilfestellungen durch Dritte.

Im Fall des 19-jährigen Wieners, der in Raqqa den Islamischen Staat unterstützt, dürfte Letzteres zumindest eine Rolle gespielt haben. Informationen derstandard.at zufolge ist der junge Jihadist bereits vor einiger Zeit in die Fänge eines mittlerweile bekannten Wiener Predigers geraten, der in einer kleinen Moschee im zweiten Gemeindebezirk gegen westliche Werte agitiert. Der 19-Jährige ist nicht der Einzige aus dem Umfeld des Predigers, der nach Syrien gegangen ist. Im vergangenen Jahr starb ein junger Österreicher kurdischer Herkunft (siehe hier), der ebenfalls das Gebetshaus unweit des Wiener Praters besuchte, als er an der Seite einer radikalislamischen Gruppe in Aleppo kämpfte.

Folgen

Sollten die Jihadisten dennoch zurückkehren, werden sie – sofern sie den Behörden bekannt sind – nach Paragraf 278 (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) strafrechtlich belangt. Obligatorisch werden alle befragt, die Rückkehrer sind gleichzeitig auch wesentliche Informationsquellen für die Behörden. Reden wollen allerdings die wenigsten. Eine Ausreise zu verhindern ist jedoch schwierig, die wenigsten machen ihre Pläne, in den Jihad zu ziehen, öffentlich. Je weiter fortgeschritten die Pläne sind, desto eher ist eine Strafverfolgung möglich und damit auch, eine Ausreise zu verhindern. In Frankreich hat die wachsende Zahl an ausreisewilligen Jihadisten dazu geführt, dass Innenminister Bernard Cazeneuve Pläne vorstellte, denen zufolge potenzielle Kämpfer an der Ausreise Richtung Türkei oder Syrien gehindert werden sollen. Auch in Deutschland wird über eine Verschärfung der Ausreisebestimmungen nachgedacht.

Gesetzesverschärfung

In Österreich ist indes eine Verschärfung des Staatsbürgerschaftsgesetzes geplant. In dem Entwurf, der derStandard.at vorliegt, heißt es: „Einem Staatsbürger, der freiwillig für eine bewaffnete Gruppe aktiv an Feindseligkeiten im Ausland im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes teilnimmt, ist die Staatsbürgerschaft zu entziehen, wenn er dadurch nicht staatenlos wird.“ Laut Innenministerium liegt dem Koalitionspartner SPÖ der Vorschlag vor, man hoffe auf eine Verabschiedung des Gesetzes „noch heuer“, erklärt Hermann Muhr, Sprecher von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), auf Nachfrage. Nach der Flucht von zwei 15- beziehungsweise 16-jährigen Mädchen aus Wien liegt außerdem ein weiterer Entwurf vor, um die Ausreise von gefährdeten Minderjährigen ohne Zustimmung der Eltern gesetzlich zu unterbinden. Öffentlichen Sicherheitsorganen soll es künftig gestattet sein, Minderjährigen den Grenzübertritt zu verwehren und sogar ihre Reisedokumente einzubehalten, sollte es Zweifel an der Genehmigung durch die Eltern geben.

Bisher können bereits 14-Jährige selbst Reisen buchen, der Großteil der Fluglinien lässt Jugendliche ohne Begleitung fliegen. Trotz dieser Gesetzeslücke konnten bisher drei Jugendliche unter 18 aus Österreich in Rumänien und der Türkei von den Behörden abgefangen werden, bevor sie nach Syrien gelangten. Sie befinden sich nach ihrem Aufgriff wieder in der Obhut ihrer Eltern, die Abgängigkeitsanzeigen erstatteten.

Autor: Stefan Binder.
Eine Version dieses Artikels erschien am 15. Juni 2014 auf derStandard.at

Du magst vielleicht auch