Die Botschaften in Abu Bakr al-Baghdadis Video

IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi

IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi gab ein kräftiges Lebenszeichen von sich – in seiner am Montag veröffentlichten Videobotschaft verstecken sich viele Informationen, die weit über das Gesagt hinausgehen.

Er lebt also doch: Abu Bakr al-Baghdadi (أبو بكر البغدادي), selbsternannter Kalif des Islamischen Staates (IS), wurde bereits mehrfach für tot erklärt. In einem Video, das am Montag auf dem Messaging-Dienst Telegram veröffentlicht  wurde, trat er den Gegenbeweis an. Es ist die erste Bewegtbildaufnahme des Extremistenchefs seit fünf Jahren: Im Jahr 2014 trat er in der an-Nuri-Moschee in Mossul vor die Kamera, um den rasanten Aufstieg seiner Extremistengruppe im Irak und Syrien zu zelebrieren und die Gründung des Kalifats zu verkünden. Seither waren nur Audioaufnahmen von al-Baghdadi veröffentlicht worden.

IS-Chef Abu-Bakr al-Baghdadi
Abu Bakr al-Baghdadi ließ am Montag, den 29. April 2019, eine Videobotschaft auf Telegram veröffentlichen.

Mittlerweile hat der IS sein gesamtes früheres Herrschaftsgebiet in Syrien und im Irak wieder verloren. In diesem Frühjahr nahmen Truppen der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) nach wochenlangen Kämpfen die letzte IS-Hochburg Baghuz im Osten Syriens ein. Die von den USA angeführte internationale Anti-IS-Koalition unterstützte die Offensive aus der Luft.

„Abnutzungskrieg“

In dem 18-minütigen Video sitzt al-Baghdadi in einem Raum auf dem Boden vor einer Waffe und spricht zu mindestens drei IS-Anhängern, deren Gesichter jedoch unkenntlich gemacht wurden. Der IS-Chef droht mit einem „Abnutzungskrieg“ und erklärte weiter: „Sie müssen wissen, dass der Jihad bis zum Tag des Jüngsten Gerichts weitergeht.“ Die Standfestigkeit der IS-Anhänger etwa in der Schlacht um Baghuz habe gezeigt, dass diese im Kampf den längeren Arm hätten.

Weitere wortwörtliche Botschaften des IS-Anführers wurden bereits in unzähligen Medien wiedergegeben. Bedeutender ist das Nichtgesagte –  die Botschaften die der IS-Chef durch das Video transportiert:

  • 1. Botschaft al-Baghdadis: Ich bin am Leben!
    Der offensichtlichste Grund für die Veröffentlichung des Videos ist der Versuch, das eigene Überleben zu beweisen. Um zu belegen, dass es sich um keine Archivaufnahme al-Baghdadis handelt, spricht der IS-Chef in dem Video über Ereignisse, die erst vor Kurzem stattgefunden haben. Er erwähnt zum Beispiel die Demonstrationen in Algerien und im Sudan an (und legt den Demonstranten nahe, dass der bewaffnete Jihad die einzige Lösung sei). Er spricht auch über Treuschwüre gegenüber dem IS, die erst vor kurzer Zeit stattgefunden haben.
  • 2. Botschaft al-Baghdadis: Ich bin gesund!
    Die Botschaft hätte der IS-Chef auch via Audio verbreiten können. Al-Baghdadi entschied sich aber für ein Video. Damit versucht der IS-Chef immer wieder aufkommenden Gerüchten über seinen Gesundheitszustand zu widerlegen. Al-Baghdadi soll an Diabetes leiden, sogenannten Informanten behaupteten immer wieder, der IS-Chef sei durch den Rückzug von notwendigen Medikamenten abgeschnitten und deshalb schwer angeschlagen. Diese Gerüchte sollen das Video widerlegen.
  • 3. Botschaft al-Baghdadis: Ich habe die Kontrolle!
    Auch das Setting des Videos ist kein Zufall: al-Baghdadi ist nicht alleine im Video, sondern hält Hof mit unkenntlich gemachten IS-Anhängern mit denen er aktuelle Herausforderungen und Themen des Kalifats bespricht. Hier soll untermauert werden, dass al-Baghdadi nicht abgeschnitten und auf der Flucht ist, sondern die Kontrolle über den IS hat.
    Abu Bakr al-Bagdhadi

    Abu Bakr al-Baghdadi Videoausschnitt
    Bewusste Inszenierung: Abu Bakr al-Baghdadi werden Unterlagen gereicht.


    Unterstützt wird diese Botschaft auch visuell, in dem ihm seine Jünger einen Berichte über eine der Wilayats (Provinz) des IS überreichen. Signal an seine Anhänger: Al-Baghdadi nicht nur gesund und am Leben, sondern auch noch immer aktiv in die Geschäfte des IS involviert ist.

  • Nicht abgeschnitten, sondern gut vernetzt
    Die drei Botschaften zeigen, dass – anders als oftmals spekuliert –  al-Baghdadi ganz und gar nicht isoliert ist. Al-Baghdadi tritt Gerüchten über seinen Tod und Gesundheitszustand aktiv entgegen, er ist also offensichtlich über das aktuelle Geschehen bestens informiert. Schon bei Al-Kaida-Chef Osama bin Laden wurde fälschlicherweise angenommen, dass er von der Außenwelt abgeschnitten war. Die Vermutung, dass sich Bin Laden in einer Höhle in Afghanistan aufhielt und keine Kontrolle oder echten Einfluss über Al-Kaida mehr hatte, wurde durch die Erstürmung seiner Residenz inmitten Pakistans widerlegt. Bin Laden war bestens über die Vorgänge in der Welt und seiner Organisation informiert. Er lebte zwar abgeschottet, aber gut vernetzt. Bei al-Baghdadi dürfte es nicht viel anders sein
  • Message Control
    Die Videobotschaft, die medial teilweise nur wortwörtlich und oberflächlich wiedergegeben wurde, zeigt, dass al-Baghdadis Männer weiterhin Meister der Inszenierung und Message Control sind. Die Kalaschnikow, die an der Wand hinter ihm lehnt, ist wohl kein Zufall und folgt der Ikonographie von Bin Laden und Abu Musab al-Zarqawi (
    mehr dazu im Thread von @CalibreObscura)

    IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi
    Abu Bakr al-Baghdadis teilweise gefärbter Bart sorgte für Spott.

    Sein nur teilweiser gefärbter Bart sorgt zwar unter westlichen Kommentatoren für Spott, ist aber wohl auch Teil einer durchdachten jihadistischen Inszenierung: Al-Baghdadi versucht zu zeigen, dass er dem Beispiel des Propheten Mohammed folgt, wie ein Hadith (Prophetenüberlieferung) nahelegt.
    Auch, dass er immer wieder das Wort ثبات (Beständigkeit, Zuverlässigkeit, Standhaftigkeit) verwendet, zeigt wie sehr der IS-Chef auf Message Control achtet. Seit dem Verlust seines Territoriums hat der IS in mehreren Propagandavideos dieses Wort gezielt verwendet.

  • Fehler
    Dennoch könnte die Veröffentlichung des Videos ein Fehler gewesen sein, da al-Baghdadi einige Anhaltspunkte für seinen Aufenthaltsort hinterlassen haben könnte. Al-Baghdadi spricht über die Ereignisse im Sudan, den Anschlag in Sri Lanka erwähnt er allerdings nur in einer eingespielten Audiobotschaft. Es ist also naheliegend, dass die Ereignisse in Sri Lanka geschehen sind, nachdem das Video aufgenommen wurde. Gleichzeitig wurde das Video aber aufgenommen, nachdem die Proteste im Sudan ihren Höhepunkt erreicht haben. Al-Baghdadi hat das Video also vermutlich Mitte April aufnehmen lassen.

    Abu Bakr al-Baghdadi mit seinen Anhängern
    Abu Bakr al-Baghdadi spricht in dem Video zu seinen Anhängern.


    Spekulativer wird es, wenn es um den Ort der Aufnahme geht: Der Hintergrund – eine weiße Mauer – ist nichtssagend. Die Teilnehmer an al-Baghdadis Inszenierung könnten hingegen Hinweise geben. Al-Baghdadis Anhänger trugen einen Shemagh – ein Kopftuch für Männer – dessen Muster allerdings in dieser Form hauptsächlich von Männern im westlichen Irak bzw. östlichen Syrien getragen wird. Hinzu kommen die Muster der Pölster, die ebenfalls regional spezifisch sind und den möglichen Radius von al-Baghdadis Aufenthaltsort seinschränken.

Autor: Stefan Binder.
Veröffentlicht am 1.5.2019.

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