Al-Kaida & Co: Vergessener Jihad in Ostafrika

Nicht mehr bei Al-Kaida: Abduqadir Mumin

Der globale Konflikt um die Vormacht im Jihadismus-Universum zwischen Al-Kaida und dem „Islamischen Staat“ ist auch in Somalia angekommen.

Es war ein Nervenkrieg, der Kenia tagelang in Atem hielt. Angreifer der radikalislamischen Al-Shabaab-Miliz stürmten im September 2013 das Westgate-Einkaufszentrum in der Hauptstadt Nairobi und ermordeten 67 Menschen. Die Sicherheitskräfte brauchten 80 Stunden, um der Situation Herr zu werden und die Gewalt zu beenden. Übrig blieb ein Trümmerhaufen – nachdem ein Teil des Daches nach einem Brand eingestürzt war, und ein geschockter Kontinent.

Aufnahmen der Al-Shabaab-Attentäter
Chaos im und vor dem Westgate-Einkaufszentrum, als Mitglieder der Al-Shabaab-Miliz den Gebäudekomplex stürmten und 67 Menschen töteten. Foto: Kenya Defence Forces

Anschlagsserie

Es sollte der letzte Angriff der Al-Shabaab-Miliz (eigentlich: „Harakat al-Shabaab al-Mujahideen“ ركة الشباب المجاهدين; deutsch: Bewegung der Mujahideen-Jugend) sein, der im Westen große Aufmerksamkeit erlangte. Der Bürgerkrieg in Syrien zog in der Zwischenzeit die ganze Aufmerksamkeit von Medien aber auch Sicherheitsexperten auf sich.

Al-Shabaab selbst verschwand aber nicht, sondern hat mit einem ständigen Auf und ab zu kämpfen. Seit dem Attentat verlor die Gruppe Territorium, Finanziers, Geld und Köpfe – sowohl der mutmaßliche Mastermind des Westgate-Attentats als auch der Emir der Gruppe, Abu Ahmed Abdi Godane, wurden getötet.

Alle, die nach dem Tod Godanes auch Al-Shabaab im Sterben liegen sahen, wurden aber eines Besseren belehrt:

  • 20. Februar 2015: Angriff von Al-Shabaab-Kämpfern auf ein Hotel in Mogadischu. Mindestens 20 Personen wurden getötet, darunter mehrere Regierungsvertreter.
  • 27. März 2015: Angriff auf ein weiteres Hotel in Mogadischu mit mindestens zehn Toten.
  • 2. April: Angriff auf eine Universität in Garissa im Osten Kenias. 148 Studenten wurden ermordet.
  • 14. April: Angriff auf das somalische Hochschulministerium, mindestens zehn Tote.
  • 20. Juni: Angriff auf eine Polizeistation im Süden Somalias. Mindestens zehn tote Polizisten.
  • 7. Juli: Angriff auf ein Militärlager, mindestens 14 Tote.
  • 10. Juli: Bombenanschläge auf zwei Hotels in Mogadischu, mindestens sieben Tote.
  • 27. Juli: Angriff nahe eines Flughafenhotels in Mogadischu, mindestens 13 Tote.
  • 1. September: Angriff auf Basis der Afrikanischen Union (AU) südwestlich von Mogadischu, mindestens 70 Soldaten wurden getötet.
  • 5. September: Angriff auf AU-Militärkonvoi.
  • 21. September: Anschlag nahe des Präsidentenpalastes in Mogadischu, mindestens zwölf Tote.
  • 1. November: Angriff auf ein Hotel in Mogadischu, mindestens 17 Tote.
  • 5. November: Angriff auf ein Restaurant in Beled-hawo, mindestens sechs Tote.

Nachfolger

Verantwortlich dafür war der Nachfolger Godanes und neue Anführer Ahmed Umar. Er ist ein alter Hase im Jihad-Universum. Schon vor mehr als 20 Jahren kämpfte er für einen Gottesstaat, zunächst für eine somalische Islamistengruppe. Nachdem sich die Gruppe aufgelöst hatte, gingen einige ihrer Mitglieder nach Afghanistan, um dort zu kämpfen. Andere wiederum stiegen aus dem bewaffneten Jihad aus – unter ihnen Ahmed Umar. Er begann an einer Schule in Kismayo zu arbeiten, arbeitete sich nach oben und war schließlich Direktor einer Schule.

Vom Schuldirektor zum Jihadistenchef

Als 2006 die Union der islamischen Gerichtshöfe in Teilen Somalias zurück an die Macht kam, gab Umar seine makellose Schulkarriere auf und schloss sich der Al-Shabaab-Miliz an, die damals Teil der Union war. Dort erlangte er schnell den Ruf, Nichtmuslime besonders brutal zu bestrafen.

Wie zuvor schon im somalischen Schulwesen, arbeitete er sich auch in der Shabaab-Miliz (die Herrschaft der Union islamischer Gerichtshöfe endete 2006) nach oben und wurde rasch Gouverneur einer westsomalischen Provinz. Dort war er so erfolgreich bei der Rekrutierung, dass er bald enger Berater von Al-Shabaab-Anführer Godane wurde und zwei Monate vor Godanes Tod zum „Gouverneur aller Gouverneure“ ernannt wurde. Als Godane starb, war Umar der logische Nachfolger.

Treu zu Al-Kaida

Seine Ernennung sorgte wohl auch in mehr als 3.000 Kilometer Entfernung für große Freude, ist Ahmed Umar doch einer der wenigen, auf den die Al-Kaida-Führung in Afghanistan und Pakistan noch zählen kann. Die radikalen Islamisten rund um den ägyptischen Al-Kaida-Chef Ayman al-Zawahiri sind nicht nur durch die Drohnenangriffe der USA geschwächt, auch innerhalb des Jihad-Universums haben sie an Boden verloren. Der Grund ist der Erfolg des „Islamischen Staates“ (IS), der sich in offener Feindschaft mit Al-Kaida befindet und große Erfolge in Syrien und im Irak feiert. Dieser Erfolg führte auch dazu, dass sich immer mehr ehemalige Al-Kaida-Treue in der ganzen Welt von der alten Jihadisten-Garde abwandten und statt Zawahiri IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi die Treue schworen.

Propagandabild der Al-Shabaab-Miliz
Treue Kämpfer: Auch die neue Al-Shabaab-Führung schwor Al-Kaida-Chef Ayman al-Zawahiri die Treue.

Nicht so in Somalia, wo die Al-Shabaab-Führung nach wie vor Al-Kaida die Treue hält. Der Grund dafür liegt in der langen und engen Beziehung der beiden Organisationen: Al-Kaida-Mitbegründer Osama Bin Laden schickte schon frühzeitig teils hochrangige Vertreter seines Netzwerkes nach Somalia, um enge persönliche Beziehungen mit lokalen Jihadisten zu knüpfen. Bei den Treffen ist wohl nicht nur Tee, sondern auch Know-how und Geld geflossen. Im Gegenzug schickte Al-Shabaab immer wieder junge Jihadisten zum Beispiel zur Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP), dem lokalen Ableger der Organisation im Jemen, und nach Afghanistan.

Und so war es auch nicht überraschend, dass Ahmed Umar sofort Zawahiri – und nicht Baghdadi – die Treue schwor, nachdem er an die Macht gekommen war.

Wolken am Al-Kaida-Himmel

Der IS macht jedoch kein Geheimnis daraus, dass es Al-Shabaab gerne zu seinen Verbündeten zählen würde. In einer groß angelegten Social-Media-Kampagne wurden somalische Jihadisten dazu aufgerufen, ihre Allianz von der Al-Kaida zum „Islamischen Staat“ zu wechseln. Seit einigen Monaten behaupteten sie sogar, ein Wechsel stünde unmittelbar bevor – ohne Erfolg.

Daraufhin versuchte man vonseiten der syrisch-irakischen Extremisten eine andere Taktik und sprach einzelne Mitglieder der Al-Shabaab-Miliz gezielt an. Einer davon war Abduqadir Mumin, ein bekannter salafistischer Anführer in Somalia.

Kein Unbekannter

Obwohl er einige Zeit in London lebte, ist Mumin in Somalia kein Unbekannter, sondern respektierter Anführer in Ostafrika. Über Jahre hinweg leitete er eine Moschee in Mogadischu. Den Respekt vieler Somalier erlangte er, weil er einer der wenigen war, der sich traute, offen das somalische Militärregime zu kritisieren.

Ende Oktober veröffentlichter er schließlich eine Mp3-Aufnahme, in der er Abu Bakr al-Baghdadi, Anführer des „Islamischen Staates“ (IS), die Treue schwor. Sein Überlaufen zum IS verkündete er im Namen „der Mujahideen Somalias“ – eine Übertreibung. Mumin kann nur wenige Shabaab-Kämpfer an seiner Seite zählen.

Al-Shabaab weiter loyal

Trotzdem ist die Audiobotschaft ein wichtiger symbolischer Sieg des IS über Al-Kaida in Somalia. Das Kalifat in Syrien und dem Irak gewinnt offenbar auch in Ostafrika an Zustimmung. Der Großteil der Shabaab-Führung bleibt allerdings loyal – einige junge Mitglieder, die Sympathie für den IS bekundet haben, wurden verhaftet.

Der Konflikt um die Vorherrschaft im globalen Jihad zwischen IS und Al-Kaida ist in Somalia angekommen, offen ausgebrochen ist der Krieg aber noch nicht.

Autor: Stefan Binder.
Veröffentlicht am 7.11.2015

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